Zwischen uns die Zeit (German Edition)
etwas wärmer ist… tropischer.« Als er meine verwirrte Miene sieht, fragt er: » Willst du es versuchen?«
» Wie…? Mit dir mitzugehen?« Mir bleibt kurz die Luft weg.
Er nickt. » Aber wenn es dir noch zu früh ist, kann ich das absolut verstehen.«
» Nein, nein…«, stammle ich. » Ich bin nur… ein bisschen überfordert. Tut es weh?«
» Das ist bei jedem anders. Meine Schwester bekommt Magenschmerzen davon, meinem Vater macht es gar nichts aus. Mom ist noch nie mitgekommen. Aber du hast es ja eigentlich schon mal ausprobiert.«
Gestern war mir leicht übel, als ich mich plötzlich im Park wiederfand, aber das erwähne ich nicht, weil ich nicht will, dass er es sich noch einmal anders überlegt. » Das letzte Mal habe ich, glaube ich, ganz gut vertragen.« Ich lache nervös. » Wie lange werden wir wegbleiben? Was ist, wenn meine Eltern nach Hause kommen?«
» Ich werde es so einrichten, dass wir exakt in dem Moment, in dem wir verschwunden sind, an genau dieselbe Stelle zurückkehren. Für alle anderen läuft die Zeit allerdings ganz normal weiter, solange wir weg sind. Vielleicht rufst du deinen Vater also besser an, damit er sich keine Sorgen macht, falls er vor uns nach Hause kommt.«
Ich verstehe zwar kein Wort von dem, was er erklärt– wie kann die Zeit normal weiterlaufen, wenn wir exakt in dem Moment zurückkehren, in dem wir verschwunden sind?–, rufe aber trotzdem sicherheitshalber im Laden an und sage Dad, dass es mir gut geht und ich nachher vielleicht einen Spaziergang mache. Während ich mit ihm telefoniere, sehe ich, wie Bennett sich in der Küche zu schaffen macht, die Gläser mit Wasser und Eiswürfeln füllt und uns Kaffee nachschenkt.
» Bist du so weit?«, fragt er, nachdem ich aufgelegt habe. Ich nicke und lächle, um mir selbst Mut zu machen.
Bennett kommt zu mir ans Fenster und nimmt meine beiden Hände in seine, die sich warm und kräftig anfühlen. Komischerweise habe ich das Gefühl, dass mir nichts passieren kann, obwohl ich gleichzeitig unglaubliche Angst habe.
» Schließ die Augen«, flüstert er.
Im nächsten Moment zieht und drückt es in meinem Bauch, als würden meine Gedärme kräftig durchgewalkt. Das Gefühl ist zwar alles andere als angenehm, aber es tut auch nicht wirklich weh. Übelkeit steigt in mir auf, und als ich gerade denke, dass es mir vielleicht doch zu viel wird, dringt grelles Licht durch meine Lider und ich kneife meine Augen noch fester zusammen. Eine feuchtschwüle Wärme legt sich auf mein Gesicht und ein kräftiger Windstoß weht mir die Haare aus der Stirn.
Bennett drückt meine Hände. » Du kannst die Augen aufmachen. Wir sind da.«
12
Wir stehen einander gegenüber wie gerade eben noch in der Küche und halten uns an den Händen, nur dass meine Füße jetzt in weichem weißem Sand versinken.
Gegen das strahlend helle Sonnenlicht anblinzelnd, blicke ich auf türkisgrün funkelndes Wasser, das sich bis zum Horizont erstreckt. Die Bucht ist so klein, dass ich ihre gesamte Länge übersehen kann, und wird zu beiden Seiten von hohen, schroffen Felsklippen begrenzt, die in den blauen, wolkenlosen Himmel ragen wie Buchstützen, zwischen denen der Sand gehalten wird. Ich sehe mich staunend um. Keine Menschenseele weit und breit und hinter uns nichts als dichter Palmenwald.
Bennett beobachtet mich lächelnd. Er hält mich immer noch an den Händen, was gut ist, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass ich sonst ohnmächtig in den Sand sinken würde.
» Ich weiß, dass das ein bisschen kitschig ist. Ich meine, ein verlassener Strand auf einer einsamen Insel…« Er stockt und sieht mich besorgt an. » Anna? Ist alles okay?«
Ich schüttle den Kopf und bringe kein Wort heraus. Das alles kann nicht wirklich echt sein… oder? » Wo sind wir hier?« Ich lasse seine Hände los und gehe wie in Trance auf das Wasser zu.
» Das ist einer meiner absoluten Lieblingsorte auf der ganzen Welt«, höre ich Bennetts Stimme hinter mir. » Ko Tao. Eine kleine Insel in Thailand, die man nur per Boot erreichen kann. Es gibt nicht einmal einen Anlegesteg, man muss durchs Wasser an den Strand waten.«
» Das glaube ich nicht.« Ich drehe mich zu ihm um. » Wir sind in Thailand? Jetzt gerade?«
» Aber ja. Willkommen in Thailand.« Er breitet lächelnd die Arme aus.
» Ich bin in Thailand!« Wenn ich es oft genug wiederhole, kann ich mich vielleicht dazu bringen, es zu glauben. Ich gehe zögernd weiter auf das im Sonnenlicht glitzernde Meer zu. Es muss
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