Zwischen uns die Zeit (German Edition)
unterhalten, um festzustellen, ob sie mich hören und sehen konnten. Sie reagierten völlig normal auf mich, ich war also wirklich da.«
» Und die Migräneanfälle?«, frage ich.
» Die hatte ich damals noch nicht. Am Anfang hatte ich überhaupt keine körperlichen Beschwerden. Mein größtes Problem war, dass ich nicht wusste, wie und ob ich meinen Eltern davon erzählen sollte. Ich hatte wahnsinnige Angst, dass sie mich zum Psychiater schleppen oder gleich ins Irrenhaus stecken würden.«
Ich nicke mitfühlend, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass ich meinen Eltern etwas so Wichtiges verheimlichen würde. Nicht jetzt mit sechzehn und erst recht nicht mit zehn.
» Als ich zwölf war, habe ich ein Experiment gemacht, um herauszufinden, was während der Zeit passiert, in der ich woanders bin. Ich habe unsere Videokamera auf ein Stativ geschraubt, auf Play gedrückt, mich davorgesetzt und dann in das Kino um die Ecke teleportiert. Sobald ich dort war, schaute ich auf die Uhr und blieb genau zehn Minuten. Im Video sieht man, wie ich mit geschlossenen Augen dasitze, dann verschwinde ich, die Kamera filmt meinen leeren Stuhl und nach exakt zehn Minuten sitze ich auf einmal wieder da.« Er zögert kurz, bevor er weitererzählt. » Ein paar Wochen danach sind meine Eltern durch Zufall von selbst hinter mein Geheimnis gekommen. Meine Mutter wachte nachts auf, warf einen Blick in mein Zimmer und stellte fest, dass ich nicht in meinem Bett lag. Meine Eltern haben panisch das ganze Haus durchkämmt und wollten gerade die Polizei alarmieren, als ich mich vor ihren Augen plötzlich wieder materialisierte. Du kannst dir vorstellen, wie geschockt sie waren. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als es ihnen zu erzählen.« Er sieht mich an. » So weit alles klar? Wie geht es dir, wenn du das alles hörst?«
» Ich fange langsam an, zu begreifen.« Glaube ich jedenfalls. » Wie haben deine Eltern reagiert?«
Er seufzt. » Meine Mutter hat tatsächlich so etwas wie einen hysterischen Anfall bekommen, von dem sie sich bis heute nicht ganz erholt hat. Ihr wäre es am liebsten, wenn ich meine ›Gabe‹ gar nicht nutzen würde, weil sie einfach zu viel Angst hat, das etwas passieren könnte. Tja, und mein Vater…« Er lacht. » Der ist total begeistert. Für ihn bin ich so eine Art Superheld wie aus einem Comic. Er vertraut darauf, dass ich meine Kräfte, oder wie auch immer du es nennen willst, im Griff habe, also macht er sich auch keine Sorgen um mich. Das einzig Unangenehme ist, dass er in letzter Zeit immer… fordernder wird.« Er schüttelt seufzend den Kopf. » Jedenfalls streiten sich die beiden meinetwegen ziemlich viel, was echt nervt.«
Er sieht so traurig aus, dass ich ihn am liebsten in den Arm nehmen würde. » Sag deinen Eltern, dass du mir gestern das Leben gerettet hast. Sie können stolz auf dich sein.«
» Ja, die Aktion war richtig cool.« Seine Augen leuchten. » Mir ist immer ein bisschen mulmig dabei, wenn ich so viele Ortswechsel hintereinander mache, aber gestern hat das total gut geklappt, ohne dass ich diese Kopfschmerzen bekommen habe. Die haben zum Glück erst ganz zum Schluss eingesetzt. Kann gut sein, dass das etwas mit dem Adrenalinausstoß zu tun hat.« Er schüttelt den Kopf. » Oh Mann, wenn ich mir vorstelle, ich hätte einen Migräneanfall bekommen, als ich euch hinter den Regalen versteckt beobachtet habe… der Typ hätte dich umbringen können!«
» Du hast aber keinen Migräneanfall bekommen.«
Bennett schließt für einen Moment die Augen. » Es hätte aber passieren können, und was dann?« Er sieht mich ernst an. » Ich habe das nicht gründlich durchdacht, sondern ganz spontan reagiert, als ich mitbekam, dass du in Gefahr bist. Das ist ziemlich riskant gewesen. So etwas darf ich nicht noch mal machen, wenn ich nicht will, dass… irgendein Unglück passiert.«
» Hey«, versuche ich ihn aufzumuntern. » Also ich für meinen Teil bin dir unendlich dankbar dafür, dass du spontan reagiert hast.«
Er lächelt und plötzlich tritt ein Funkeln in seine Augen, als wäre ihm gerade eine Idee gekommen.
» Was ist?«, frage ich.
» Was hältst du davon, wenn wir unser Gespräch woanders fortsetzen?«
» Willst du wirklich da raus?« Ich deute zum Fenster. Es hat die ganze Zeit über nicht aufgehört zu schneien und die Einfahrt zu unserem Haus ist unter der dichten Schneedecke nur noch zu erahnen.
Bennett schüttelt den Kopf. » Nein. Ich dachte eher an einen Ort, an dem es
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