Zwischen uns die Zeit (German Edition)
eine Fata Morgana sein. In dem Moment, in dem ich mich vorbeuge, um meine Fingerspitzen ins Wasser zu tauchen, werde ich ins Leere greifen. Ich bin mir so sicher, dass genau das passieren wird, dass ich überrascht nach Luft schnappe, als meine Hand tatsächlich nass wird.
Ich spüre, wie Bennetts Blick auf mir ruht, während ich mich langsam im Kreis drehe und jeden Quadratzentimeter der Bucht in mich aufnehme, jede einzelne Palme, jeden Felsbrocken, jede kleinste Muschel. Ich muss lächerlich aussehen– die Augen weit aufgerissen, mit offen stehendem Mund–, aber dann sehe ich Bennett an, und es kommt mir vor, als wäre er derjenige, der überwältigt ist. Ich schließe die Augen und atme tief ein… atme alles um mich herum ein.
» Geht es dir gut?«
Ich nicke.
» Dann zieh die Schuhe aus und komm mit.« Bennett nimmt mich an der Hand und wir schlendern direkt am Wasser den Strand entlang. Kleine Wellen umspülen unsere nackten Füße, als wir durch den feuchten, weichen Sand um die Klippe herumgehen. Bennett führt mich den Abhang hinauf zu einer Stelle, wo der Sand warm und trocken ist. Ich ziehe meinen Pulli aus, unter dem ich nur ein dünnes Trägershirt anhabe, lege mich auf den Rücken und schmelze buchstäblich dahin.
» Hier ist es viel schöner als bei uns in der Küche«, sage ich träge zum Himmel und drehe den Kopf dann so, dass ich Bennett anschauen kann.
Er liegt, das Kinn in die Hand gestützt, neben mir im Sand und betrachtet mich mit einem zufriedenen Grinsen.
Ich rolle mich zur Seite und sehe ihn an. Sein blaues T-Shirt ist ein Stück nach oben gerutscht und entblößt einen Streifen nackter Haut über dem Bund seiner verwaschenen Jeans. Einen Moment lang stelle ich mir vor, wie ich zärtlich darüberstreiche und er mich daraufhin an sich zieht und mich erst vorsichtig und dann immer leidenschaftlicher küsst, bis wir uns im Sand wälzen wie in einem dieser Werbespots für Bacardi. Aber dann denke ich an den Abend nach unserem Gespräch im Coffeehouse zurück, an dem er mich so schnöde abblitzen ließ. Das will ich nicht noch einmal erleben, also male ich zur Ablenkung mit dem Zeigefinger kleine Kreise in den Sand. » Wow…«, murmle ich. » Thailand.«
Er lächelt.
Ich frage mich, warum er sich solche Sorgen gemacht hat, ich könnte es nicht verkraften. Wer würde nicht an einem so großartigen, so magischen Abenteuer teilhaben wollen, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bietet? » Warum hast du befürchtet, dass mir das zu viel werden könnte? Was kann einem denn bitte an all dem hier zu viel sein?«, spreche ich meinen Gedanken laut aus.
An seinem Lächeln kann ich erkennen, dass ich gerade einen Test bestanden und Zugang zum nächsten Level erhalten habe. Es ist, als würde er im Geist auf einer Liste den Punkt » von Illinois auf einsame Insel in Thailand teleportiert/nicht hysterisch geworden« abhaken.
Aber ich weiß auch, dass das lediglich ein Teil seiner unglaublichen Fähigkeit ist und er mir noch nicht alles erzählt hat. Obwohl es sicher entspannter wäre, hier im Sand zu sitzen und den Meerblick zu genießen, schießen mir Fragen durch den Kopf, die ich ihm einfach stellen muss.
» Woher wusstest du gestern Abend eigentlich, dass ich überfallen werde und Hilfe brauche?«
» Als ich bei dir im Laden vorbeigekommen bin, um mir für Argottas Wettbewerb Literatur über Mexiko zu besorgen, wusste ich es noch nicht.«
Möglich, dass meine Erinnerung an den Überfall dadurch, dass so viel auf einmal passiert ist, teilweise getrübt ist, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ich allein war, als der Mann mit dem Messer hereinkam. » Das kann nicht sein. Du warst nicht im Laden.«
Bennett streckt die Hand aus und mein Herz klopft schneller, doch statt mich zu berühren, fasst er nur in den Sand und lässt die feinen Körnchen durch die Finger rieseln. » Bist du dir ganz sicher, dass du den nächsten Teil hören willst?«
Ich überlege kurz, dann nicke ich.
» Der Überfall ist ein bisschen anders abgelaufen, als du dich daran erinnerst.« Er wischt die sandige Hand an seiner Jeans ab und sieht mich an, als wolle er meine Reaktion abschätzen.
Ich warte mit hochgezogenen Augenbrauen ab.
» In Wirklichkeit war es so: Ich bin in den Laden gekommen und wir haben uns über Argottas Wettbewerb unterhalten. Dann kam der Typ rein.«
Ich setze mich kerzengerade auf. » Niemals. Daran würde ich mich erinnern. Nein, ich war ganz bestimmt…«
» Lass es mich
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