Zwischen uns die Zeit (German Edition)
Informationen zu verarbeiten. Mit dem linken Arm schirme ich mein Gesicht vor der Sonne ab, und wir liegen ein paar Minuten schweigend nebeneinander. Plötzlich spüre ich ein feines Kitzeln in der rechten Handfläche. Als ich den Kopf drehe, sehe ich, dass Bennett sich über mich beugt und Sand aus seiner Hand in meine rinnen lässt. » Siehst du?«, sagt er und lächelt leicht nervös. » Ich habe dir doch gesagt, dass es dir zu viel sein wird.«
» Ich gebe zu, dass es viel ist. Aber ich komme damit klar.« Ich stütze mich auf die Ellbogen, auch wenn ich damit den Sandhügel zerstöre, den er in meiner Hand aufgehäuft hat, und sehe ihn an. Dann lasse ich den Blick über diese unwirklich schöne Bucht schweifen– die Palmen, den Sand und das türkisgrüne Meer–, dieses Postkartenidyll, in das er uns hineingezaubert hat. Normalerweise bräuchte man mindestens zwanzig Stunden mit dem Flugzeug, inklusive Umsteigen und einer Bootsfahrt zur Insel, um von Chicago hierherzureisen. Eigentlich säße ich jetzt mehrere Zeitzonen von hier entfernt in einem dunklen Klassenzimmer, würde meinem Geschichtslehrer zuhören und den Schnee und die Kälte verfluchen. Ich schaue Bennett wieder an und lächle. » Danke, dass du mich hierhergebracht hast.«
Er erwidert das Lächeln erleichtert. » Gern geschehen.«
» Diese Fähigkeit, die du da hast, ist…« Keines der Wörter, die mir in den Sinn kommen, scheint mir angemessen zu sein, aber schließlich entscheide ich mich für: » …unglaublich«.
» Danke.«
Noch kenne ich sein Geheimnis nicht bis in alle Einzelheiten, aber ich spüre, dass ich ihm näherkomme und zwar genau in der Dosierung, die er mir verordnet hat– in kleinen Babyschritten.
» Hör zu, Anna«, sagt er. » Ich kann dir hier und jetzt nicht alle Antworten geben, die du brauchst, aber zumindest kann ich dir dieses tollkühne Abenteuer ermöglichen, und das ist für den Anfang ja vielleicht auch schon mal nicht schlecht.« Er steht auf, klopft sich den Sand von den Jeans und streckt mir die Hand hin.
» Weißt du, dass ich noch nie in meinem Leben im Meer geschwommen bin.« Ich bemühe mich, ganz lässig zu klingen, als wäre nichts an dieser Situation seltsam oder verwirrend.
» Ich weiß. Das hast du mir gestern Abend im Laden erzählt. Du hast überlegt, welche Küstenorte du auf deine Rundreise einbauen könntest, damit du morgens am Strand laufen gehen und danach im Meer schwimmen kannst.«
Okay, es ist seltsam und verwirrend. » Aha. Und ich vermute mal, dass du mir ein paar Tipps gegeben hast?«
Er zuckt mit den Achseln. » Ich habe dir La Paz vorgeschlagen.«
Extrem seltsam und verwirrend. Außerdem finde ich es ziemlich beunruhigend, dass ich ein Gespräch mit Bennett geführt haben soll, an das ich mich nicht mehr erinnern kann. Aber bevor ich weiter darüber nachdenken kann, kreuzt er die Arme vor der Brust und zieht sich mit einem Ruck sein T-Shirt über den Kopf. Er ist viel muskulöser, als ich ihn mir vorgestellt habe, mit breiten Schultern und einem perfekt definierten Brustkorb. Verlegen wende ich den Blick ab, als ich merke, wie ich ihn anstarre.
Als ich wieder zu ihm hinsehe, zieht er mit der großen Zehe eine horizontale Linie in den Sand vor uns.
» Wir sind hier zwar nicht in La Paz, aber es gibt Sand und Wasser«, sagt er grinsend und kniet sich in den Sand. » Nimm deine Startposition ein, Greene.«
Ich schaue an mir herunter und frage mich, wie durchscheinend mein Trägershirt wird, wenn es nass ist, beschließe dann aber, dass mir das egal ist.
» Auf die Plätze.« Er hebt den Kopf. » Fertig. Los!«
Wir stürmen auf das Meer zu, bis der Sand unter unseren Füßen immer dunkler und feuchter wird, und stürzen uns dann kopfüber ins badewannenwarme Wasser. Als ich wieder auftauche, sehe ich Bennetts dunklen Haarschopf neben mir. Seine Arme pflügen durch die Wellen und ich schwimme ihm hinterher. Meine Augen brennen, mein Mund füllt sich mit dem Geschmack des salzigen Meeres, und ich wünsche mir, dass dieser Moment niemals endet.
***
Als wir vier Stunden später wieder am Küchenfenster stehen, stelle ich fest, dass keine Minute vergangen ist. Der Kaffee in den Bechern auf der Theke dampft noch, in den Wassergläsern schwimmen die Eiswürfel und mir ist speiübel.
» Du siehst ein bisschen blass aus.« Bennett führt mich ins Wohnzimmer. » Leg dich eine Weile aufs Sofa«, sagt er und seine Stimme klingt wie aus weiter Ferne. » Du musst etwas essen. Ich schau
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