Zwischen uns die Zeit (German Edition)
fertig, die beide alles enthielten, was uns wichtig war, dabei aber so unterschiedlich waren, dass Señor Argotta nicht auf die Idee kommen konnte, wir könnten gemeinsam daran gearbeitet haben. Unsere Routen sind völlig verschieden und kreuzen sich nur ein einziges Mal in der kleinen Küstenstadt La Paz.
Argotta legt eine Folie auf den Overheadprojektor und wirft eine Karte von Mexiko an die Wand. Die Reiseroute ist mit gelbem Marker eingezeichnet, Städte und Ausflugsziele sind rot umkringelt. Das ist weder meine noch Bennetts Karte.
» Die erste Reise, die ich Ihnen vorstellen möchte, wurde von Señorita Courtney Breslin geplant.«
Mir fällt auf, dass die gelb markierte Route fast nur an der Küste entlangführt. Abstecher ins Landesinnere sind offensichtlich nicht vorgesehen.
» Man sieht auf den ersten Blick, dass der ungewöhnlich lange Winter bei Señorita Breslin seine Spuren hinterlassen hat. Sie möchte am liebsten jeden Tag am Strand liegen und sich in der Sonne aufwärmen.«
Alle lachen.
» Von Mexikos Vielfalt bekommt man auf ihrer Route zwar nicht sehr viel mit, aber ich habe ihren Plan ausgesucht, weil sie nicht nur die bekannten Touristenorte ausgewählt hat, sondern auch ein paar Strände entdeckt hat, die zu den echten Geheimtipps zählen.« Er nimmt die Karte vom Projektor und heftet sie mit einem Magneten an die Tafel. » Ich nenne diese Reise › Hora de Playa ‹.«
Als er die nächste Folie auflegt, halte ich den Atem an und drehe mich ungläubig zu Bennett um, der den Daumen hebt. Es ist meine Karte!
» Señorita Greene hat dagegen nicht nur Strände ausgesucht, sondern auch ein paar interessante archäologische Ausgrabungsstätten in ihren Reiseplan aufgenommen. Ein bisschen Kultur, aber auch Erholung. Viele Leute machen gern den Fehler, sich ihren Urlaub mit zu vielen Programmpunkten vollzupacken, um auch ja nichts zu verpassen. Aber dadurch bleibt ihnen meist keine Zeit, die Seiten eines Landes zu erleben, für die man Muße braucht. Die Reise, die Señorita Greene sich ausgedacht hat, lässt Zeit und Raum für Überraschungen und spontane Entscheidungen. Für Impulsivität und Abenteuer!« Er geht nach vorne und pinnt meine Karte an die Tafel. » Diese Reise nenne ich deshalb › La Aventura! ‹«
» La Aventura Atrevida«, flüstere ich leise. Das tollkühne Abenteuer.
» Der dritte Wettbewerbsbeitrag stammt von– wer hätte das gedacht?– Señor Camarian.« Alex sieht selbst völlig überrascht aus. » Señor Camarian interessiert sich offenbar sehr für Archäologie und die Kultur der Mayas und meidet die Touristenorte. Er fliegt zwar nach Cancún, fährt von dort aus aber so schnell wie möglich weiter. Señor Camarian ist der Einzige aus dem Kurs, der auf seinem Reiseplan den für mich schönsten Ort Mexikos stehen hat: die Ruinen von Kohunlich– eine der bedeutendsten Stätten der Maya, die inmitten eines dichten tropischen Urwaldgebiets in der Nähe der Grenze zu Belize liegt.« Er wendet sich an Alex. » Wenn Sie nach Sonnenuntergang dort hinkommen, können Sie die Brüllaffen hören. Ein unheimliches und zugleich faszinierendes Erlebnis. Fantastico!« Er hängt Alex’ Karte neben die anderen beiden an die Tafel. » Ich nenne diese Reise: › El Camino Menos Viajado. ‹ Der am wenigsten begangene Weg.«
Er dreht sich mit leuchtenden Augen zu uns um. » Vielen Dank für Ihre Beiträge. Ich kann wirklich sagen, dass ich meinen Teil dieser Aufgabe unglaublich genossen habe. Sie haben Orte in Ihre Routen aufgenommen, die ich schon lange kenne und liebe, und andere, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Ich muss sagen, mis amigos, zwischendurch hat mich ein schreckliches Heimweh gepackt.« Er schlägt sich seufzend auf die Brust, dann breitet er lächelnd die Arme aus. » Aber jetzt will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen, Sie möchten ja bestimmt wissen, wer denn nun gewonnen hat.«
Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe– so wie er von Alex’ Reise geschwärmt hat, bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass er den Gutschein bekommen wird– und versuche mich innerlich schon einmal darauf einzustellen, nicht allzu enttäuscht zu sein.
Argotta verschränkt die Arme hinter dem Rücken und lässt den Blick vergnügt durch die Klasse schweifen. Er genießt es sichtlich, wie wir alle mit angehaltenem Atem dasitzen und auf seine Entscheidung warten. » Die Reisen, die Sie sich ausgedacht haben«, fährt er schließlich fort, » sind alle so liebevoll
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