Zwischen uns die Zeit (German Edition)
und mit Herz geplant, dass ich Sie gerne unternehmen würde. Es ist jedoch eine darunter, die ich als besonders gelungen empfinde. Wenn mich jemand, der noch nie in Mexiko war, fragen würde, wohin er fahren sollte, würde ich ihm diese Reiseroute empfehlen, um ein umfassendes Bild des Landes zu bekommen. Gewonnen hat…« Er geht zur Tafel, lässt die Hand einen Moment in der Luft schweben und deutet dann auf die zweite Karte. » … La Aventura!«
Ich presse die Hand auf den Mund, um einen überraschten Aufschrei zu unterdrücken. Ich? Ich habe gewonnen? Fassungslos vor Glück drehe ich mich zu Bennett um, der beide Daumen hochhält und mich anstrahlt, worauf die ganze Klasse zu klatschen anfängt. Meine Reise hat tatsächlich den ersten Platz belegt!
Als ich nach der Stunde nach vorn gehe, um meinen Preis abzuholen, flüstert Bennett mir im Rausgehen zu, dass er im Flur auf mich wartet.
» Muchas, muchas gracias!«, bedanke ich mich bei Señor Argotta, als er mir mit beinahe väterlichem Stolz den Gutschein überreicht.
» Sie haben ihn sich wirklich verdient«, erwidert er lächelnd. » Das war eine tolle Arbeit, Señorita Greene. Wenn Sie vielleicht noch einen kurzen Moment Zeit hätten? Ich würde gern etwas mit Ihnen besprechen.« Er wartet, bis alle gegangen sind, bevor er fortfährt. » Wie Sie vielleicht wissen, leite ich das Sommer-Austauschprogramm der Schule.«
Ich nicke, habe jedoch keine Ahnung, worauf er hinauswill.
» Nun, in diesem Jahr stehen wir vor dem eher ungewöhnlichen Problem, dass sich mehr Gastfamilien gemeldet haben als Schüler, wodurch wir noch einen freien Platz zu vergeben haben. Das kommt jetzt bestimmt ziemlich überraschend für Sie, aber Sie könnten diesen Platz haben.« Als ich nicht gleich antworte, setzt er hinzu: » Falls Sie überhaupt Interesse haben.«
Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, was ich in den Sommerferien machen könnte. Seit ich Bennett kennengelernt habe, denke ich sowieso kaum noch über den nächsten Tag hinaus.
Argotta zieht seine Schreibtischschublade auf, nimmt einen gelben Schnellhefter heraus und reicht ihn mir. » Das ist wirklich eine einzigartige Gelegenheit, Land und Leute kennenzulernen. Der Aufenthalt dauert insgesamt zehn Wochen, und die Gastfamilie, bei der Sie wohnen würden, macht einen sehr netten Eindruck. Lesen Sie sich doch einfach in Ruhe die Unterlagen durch und sprechen Sie mit Ihren Eltern darüber.«
Immer noch sprachlos greife ich nach dem Hefter. Noch vor ein paar Wochen hätte ich dieses Angebot als die Chance meines Lebens betrachtet und vor Freude Luftsprünge gemacht, aber da wusste ich noch nichts von Bennett und seiner unglaublichen Gabe, mich an jeden Ort dieser Welt bringen zu können. » Vielen Dank, Señor Argotta, das ist… Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich fühle mich wirklich wahnsinnig geehrt, dass Sie mir dieses Angebot machen.« Ich öffne meinen Rucksack und stecke den Ordner hinein.
» Bueno. Die Familie ist darüber informiert, dass sie möglicherweise gar keinen Schüler bekommt, aber wir müssen den Leuten natürlich trotzdem Zeit geben, sich vorzubereiten, deswegen sollten Sie mir, so schnell Sie können, Bescheid geben, ob Sie teilnehmen wollen. Bis Ende Mai sollten Sie sich spätestens entschieden haben.«
Als ich kurz darauf wie betäubt vor die Tür trete, legt Bennett mir einen Arm um die Schulter.
» Hey, du hast gewonnen!« Er zieht mich liebevoll an sich. » Und, weißt du schon, wo du mit dem Geld hinreisen möchtest?«
» Nach Mexiko natürlich. Es wäre doch eine Schande, einen so unglaublich gelungenen Reiseplan, der auch genug Zeit und Raum für Überraschungen bietet, nicht zu verwirklichen«, ahme ich Argottas Akzent nach. » Zufälligerweise bin ich nämlich jemand, der Überraschungen über alles liebt.«
Bennett grinst. » Tatsächlich? Ist mir noch gar nicht aufgefallen…«
MAI
26
Ich lege mein Lesezeichen zwischen die Seiten von Rick Steves’ Reiseführer Best of Italy 1995, knipse die Nachttischlampe aus, schließe die Augen und freue mich darauf, gleich von kopfsteingepflasterten Gassen, farbenfrohen Märkten und köstlichem gelato zu träumen. Mittlerweile ist es beinahe einen Monat her, dass Bennett mich nach Thailand gebracht hat. Eigentlich hat er mir versprochen, mich als Nächstes nach Italien mitzunehmen, aber ich habe das Gefühl, dass es ihm widerstrebt, seine Gabe einzusetzen – selbst wenn es » nur« rein touristischen Zwecken dient –,
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