Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)
verbrachte mehr Zeit zu Hause, sodass ihr euch häufiger saht?“
„Das auch.“ Sie schlang die Arme um sich und sah so rührend verletzlich aus, dass Declan sich sehr zusammenreißen musste, um nicht weich zu werden. „Er überwachte jeden meiner Schritte, lauerte mir überall auf, verfolgte mich, wenn ich das Haus verließ. Und er fragte mich über jeden aus, mit dem ich sprach, als wäre er eifersüchtig. Es war nicht mehr … normal.“
Declan richtete sich kerzengerade auf. Was sagte sie da?
„Du meinst, er hätte sich wie ein Stalker aufgeführt? Das ist ja absurd.“ Seine innere Anspannung verwandelte sich in blanken Zorn. Wie konnte sie es wagen, so über seinen Bruder zu sprechen?
Er hatte Adrian besser als jeder andere gekannt. Er hatte ihn quasi aufgezogen, weil ihre Eltern wegen ihrer zahlreichen geschäftlichen und sozialen Verpflichtungen kaum Zeit für ihn hatten. Adrian war ein großartiger Mensch gewesen, kein bisschen boshaft oder hinterhältig.
„Du behauptest, er hätte dir nachgestellt, ohne dass du ihn dazu ermutigt hast?“
Nicht Adrian. Nicht sein geliebter kleiner Bruder.
Er wäre bereit gewesen, Chloe gegenüber gewisse Zugeständnisse zu machen. Einzuräumen, dass sie nicht die geldgierige Hexe war, für die er sie gehalten hatte. Aber was sie ihm da auftischte, das ging entschieden zu weit.
„Richtig“, erwiderte sie, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich habe ihn in keiner Weise ermutigt, ich habe ihm nur zugehört. Aber er fing plötzlich an, über uns zu reden, als wären wir ein Liebespaar.“
„Und wart ihr das nicht?“ Schon bei dem Gedanken packte ihn die kalte Wut.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Er war nicht mein Typ.“
Ihm fiel ein, dass Adrian kurz vor seinem Tod gesagt hatte, seine Freundin stehe auf reiche Siegertypen. Und wie schnell Chloe entschieden hatte, dass Adrians entstellter, grantiger Bruder durchaus in das Schema passte. Wie bereitwillig sie sich ihm hingegeben hatte, obwohl er nach der langen Enthaltsamkeit nicht gerade den sanften Verführer herausgekehrt hatte.
Was konnte sie anderes in ihm gesehen haben, als einen bequemen Weg, an Geld und Luxus zu kommen? Das hatte er schon einmal erlebt.
Er verdrängte die Erinnerung daran, wie wichtig Chloe ihm in jenen dunklen Tagen in Carinya gewesen war. Sie war eine Heuchlerin. Dass er sie noch immer begehrte, machte ihn umso zorniger.
Sein Bruder hatte keine Probleme gehabt, Frauen kennenzulernen. Er war auch kein Lügner gewesen, erst recht kein Stalker. Aber Declan hatte ihm auch nicht zugetraut, dass er Selbstmord begehen würde …
Stirnrunzelnd hörte er weiter zu.
„Er erfand Orte, an denen wir angeblich zusammen waren.“ Ein Hauch von Röte überzog Chloes blassen Wangen. „Wenn ich sagte, ich wüsste nicht, wovon er sprach, wurde er wütend und warf mir vor, ich wollte ihn wegen eines anderen Mannes verlassen.“
„Wenn mein Bruder dich belästigt hat, warum hast du ihn dann nicht angezeigt?“
„Was hätte das gebracht? Meine Aussage hätte gegen seine gestanden, und er hatte jedes Recht, sich im Haus aufzuhalten.“ Sie sah weg. „Irgendwann machte er mir nur noch Angst. Er bedrängte mich immer heftiger, und ich …“
„Ja?“
„Ich war nicht sicher, wie weit er gehen würde. An manchen Tagen wirkte er fast normal, aber vielleicht hätte er seine Wahnideen irgendwann in die Tat umgesetzt.“
„Du meinst, mit Gewalt?“ Declan konnte es nicht fassen.
Sie hob in einer hilflosen Geste die Hände. „Ich weiß es nicht. Ich hatte auf jeden Fall Angst vor ihm, deshalb bin ich abgereist.“
„Ich dachte, es gab einen Notfall in deiner Familie.“
„Das stimmt, aber abgereist bin ich wegen Adrian. Erst danach erfuhr ich, dass mein Pflegevater einen Schlaganfall erlitten hatte. Ich habe mich während meines Urlaubs um ihn gekümmert.“
„So ein Zufall.“
Der verletzte Blick, den sie ihm aus ihren schönen grünen Augen zuwarf, traf ihn mitten ins Herz. Es ärgerte ihn, dass sie immer noch diese Macht über ihn besaß.
„Und dein Pflegevater, wie geht es ihm jetzt?“ Wenn dieser Pflegevater überhaupt existierte. Früher hatte er ihr blind vertraut. Jetzt brauchte er Beweise.
„Er ist in einer privaten Rehaklinik.“
„Ich nehme an, er kann deine Angaben bestätigen?“
„Nein.“ Sie ließ die Schultern hängen. „Ich wollte ihn nicht unnötig beunruhigen.“
„Aber später hast du es ihm doch sicher erzählt. Ihm oder einem anderen lieben Freund.“
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