Zwischen Vernunft und Sehnsucht (Julia) (German Edition)
grellen Sonnenschein wirkte die Narbe auf seiner Wange wie ein grausames Symbol seiner inneren Zerrissenheit. Sein zorniger Blick verstärkte noch die Aura von Gefahr, die ihn umgab.
Wehmütig dachte Chloe an die Zeit in Carinya zurück. An die wachsende Vertrautheit zwischen ihnen, die prickelnde Erregung, das Gefühl, dass sie auf geheimnisvolle Weise füreinander bestimmt waren.
Es war eine Illusion gewesen. Genau wie der Ausdruck des Bedauerns, den sie für einen kurzen Moment in Declans Augen aufflackern zu sehen meinte.
Hier im hellen Morgenlicht musste sie erkennen, dass ihre Hoffnungen völlig unrealistisch waren. Declan hatte sie nur aus Berechnung verführt. Er hatte keine Gefühle für sie.
Doch ihr dummes Herz weigerte sich standhaft, die bittere Wahrheit zu akzeptieren. Ein winziger Teil von ihr hielt hartnäckig daran fest, dass die Beziehung zwischen Declan und ihr etwas ganz Besonderes war.
„Ich kann dich nicht überzeugen, oder?“ Ein überwältigendes Gefühl von Trauer und Verlust überkam sie. Sie trauerte um das, was hätte sein können. Und um Declan, weil er so viel Schmerz und Zorn in sich trug.
Sie hatten beide verloren. Und sie würden beide leiden müssen.
Sie wollte ihn berühren, ihn anflehen, ihn zwingen, ihr zu glauben. Doch gegen die Loyalität seinem Bruder gegenüber kam sie nicht an. Die beiden hatten einander ein Leben lang gekannt, wie konnte sie da mithalten?
Declans Schmerz machte ihn blind für alles andere. Und sie verstand das. Auch sie hatte monatelang das Krankenhauspersonal für Marks Tod verantwortlich gemacht, obwohl ihn niemand mehr hätte retten können.
Declan brauchte einen Sündenbock. Sich selbst und sie.
„Nein.“ Seine Stimme klang so desillusioniert, wie Chloe sich fühlte.
„Dann gehe ich jetzt.“ Es würde schwer werden ohne ihren Verdienst, aber sie würde es schon schaffen.
„Nein.“
Sie sah überrascht auf. „Wie bitte?“
„Glaubst du, ich lasse dich einfach gehen? Du hast dich an meinen Bruder herangemacht, als es ihm schlecht ging, und ihn dann eiskalt abserviert. Du wusstest, dass er an Depressionen litt. Der Bekannte, von dem du mir erzählt hast, das war er. Und du hast keinen Finger gerührt, um ihm zu helfen.“
Das bereute sie wirklich.
„Dann“, fuhr er wütend fort, „hast du mich ins Visier genommen. Ich war leichte Beute für dich. Blind, einsam, krank vor Trauer. Ein bisschen Zuwendung …“
„Nein!“ Es brach ihr das Herz, dass er sie für so abgebrüht hielt.
„Nein? Du hast deine Rolle so gut gespielt, dass ich mich tatsächlich in dich …“
Sie hielt den Atem an. Dass er … was? Sich in sie verliebt hatte?
Gibst du die Hoffnung denn nie auf?
„Vergiss es. War Adrian dein erstes Opfer, oder hast du bei Damon Ives dieselbe Masche angewandt?“
Fassungslos schüttelte Chloe den Kopf. „Warum lässt du mich nicht gehen?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Willst du dich an mir rächen?“
Er sagte nichts, sah sie nur aus zusammengekniffenen Augen an. Sie spürte die Verzweiflung, die sich hinter seiner zornigen Miene verbarg, konnte ihm aber nicht helfen.
„Es ist aus, Declan. Nach Ablauf meiner Kündigungsfrist bin ich weg.“
Sie bewahrte Haltung bis zuletzt.
Ihr Stolz war alles, was ihr geblieben war.
„Tut mir leid, aber Mr Carstairs hat es sich anders überlegt mit dem Dinner heute Abend.“
Chloe ließ Schüssel und Schneebesen sinken, als Susie ihr dies in bedauerndem Tonfall mitteilte, und rückte das Telefon zurecht, das sie zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte. Grimmig musterte sie die aufwendigen Vorbereitungen, die sie für ein romantisches Dinner zu zweit getroffen hatte.
Declan hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend eine andere Frau in seinem Penthouse zu bewirten. Wohl um seiner dummen kleinen Haushälterin vor Augen zu führen, wie gewaltig der Unterschied zwischen ihr und seinen schönen kultivierten Verehrerinnen war.
Chloe hatte sich nicht anmerken lassen, wie sehr es sie kränkte. Hatte sich eingeredet, es spiele keine Rolle mehr. Ihren Vertrag einzuhalten fiel ihr mit jedem Tag schwerer, aber daran war nicht zu rütteln. Sie musste es tun, schon um Declan zu beweisen, dass er sich in ihr geirrt hatte.
Früher hatte sie viel zu oft die Erwartungen anderer erfüllt, vor allem die negativen. Ihr hart erkämpftes Selbstwertgefühl würde ihr niemand mehr nehmen. Wenn sie dieses Haus verließ, dann aufrecht und stolz.
„Es bleibt nicht bei einem
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