Zwischen Wind und Wetter
bezeichnete.
Begeistert von ihrer Präsidentin war auch Ina Ryan, Inhaberin von ‘Ryan’s Inn’, der Gaststätte, die Ilse samt Brücke in O’Brians Bridge gemalt hatte.
Da wir tagsüber viel Leben vor der Kneipe beobachtet hatten, vermuteten wir drinnen das heimliche Kulturzentrum des Ortes. Dort würden wir sie sicher alle treffen, die Iren und Irinnen...
Hinter der Theke stand niemand, eine ältere Dame saß in der Gaststube und sah sich die Fernsehnachrichten an. Sie entpuppte sich als die redefreundliche Wirtin, erhob sich vom Gasthocker und begab sich hinter ihren Tresen.
»Please ?«
»Yes, two Pints of Guinness, please .«
Wir hatten die Auswahl zwischen drei Möglichkeiten. Sie erläuterte uns, daß zwei der Zapfhähne Guinness Stout mit verschiedenen Temperaturen böten, sie könne aber auch mischen. Wir nahmen gemischte.
Sie zapfte mit Bedacht, beobachtete uns. Wir saßen ihr gegenüber auf den Barhockern vor der Theke, warteten auf unser Bier, um uns dann einen Tisch auszusuchen. Gleich mußten ja die Iren kommen, vorher wollten wir uns einen Eckplatz sichern. Die Stouts waren fertig. Sie stellte uns die bauchigen Pints (0,5681) auf Deckel, die immer klebten, wenn wir die Gläser anhoben, weil etwas Schaum übergeflossen war. Normalerweise bezahlte man jetzt.
»Yes, welcome, I’m Ina Ryan!«
Sie gab uns die Hand, setzte sich. Wir blieben für die nächsten Stunden vor der Bar hocken. Wir bezahlten später, viel später.
Yes, sie war die letzte ihrer Sippe, die seit einhundertfünfzig Jahren dieses Haus besaß, direkt an der Brücke, die von einem Ingenieur namens O’Brian vor langer Zeit gebaut wurde. O’Brian hatte noch mehr Brücken im Land gebaut, aber diese hier gab dem Ort seinen Namen.
Ina Ryan’s Urgroßvater, der Großvater, dann der Vater betrieben hier schon die Gastwirtschaft.
Ja, sie war Ryan’s Tochter.
Wir mußten lachen, als sie auf den berühmten Filmtitel ‘Ryan’s Daughter’ anspielte. Der Film ist an einer Bucht am Slea Head auf der Halbinsel Dingle gedreht worden.
Natürlich war sie Ryan’s Daughter, sie und keine andere, dazu brauchte man keinen Roman und keinen Film. Und Ryan’s Daughter erzählte. Erzählte von früher, als alles noch anders war, ohne Strom und mit Petroleumlampen. Doch dann gewann ja Siemens-Schuckert die Ausschreibung, noch einmal hörten wir die Geschichte, und baute (in nur fünf Jahren! yes, really) den Seitenkanal am Shannon mit Schleusen und Wehr und Wasserkraftanlagen. So gab es Strom für Limerick und nebenbei auch für O’Brians Bridge, das nun wie eine Insel zwischen Kanal und Fluß liegt. Die Wasserhöhe ist seitdem steuerbar, es gibt keine Überschwemmungen mehr.
Allmählich wuchs die Zahl der Häuser im Dorf.
Ihr Mann war vor einigen Jahren gestorben, ihre erwachsenen Kinder lebten in Dublin und wollten um keinen Preis zurück ins Pub.
Während sie erzählte, sie bemühte sich, langsam und deutlich zu sprechen, blickten wir uns verstohlen in der Kneipe um. Decke und Wände waren alt, das sah man, vergilbt, durchgebogen, uneben. An der Wand hinter der Theke hingen Postkarten, hunderte von Postkarten aus aller Welt.
Irgendwo an der Wand, zu hoch, hing ein Ölbild von der Kneipe. Außenansicht. Gemalt von einem Gast, wie sie uns berichtete.
Mehrmals im Laufe des Abends löste sich plötzlich eine der Postkarten von der Wand und segelte langsam zu Boden. Und Ina Ryan erzählte von früher, während die Postkarten, ihre Verbindung zur Welt, herunterfielen, unbeachtet liegen blieben...
»Yes, times are changing«, nahm sie den Faden wieder auf. Längst fand sie nicht mehr alles gut. Oh, dachte ich, das übliche Lamentieren älterer Leute, die die schlechten Zeiten von früher ins nostalgisch Gute verklären.
Doch hörte ich auch andere Töne. Vieles sei heute besser, die Präsidentin zum Beispiel. Auch die Ausbildung der Jugendlichen. Die Kinder ärmerer Leute könnten studieren. Nur die Kriminalitätsrate, die sei leider gestiegen. Das stimmte. Während es im Jahr unseres ersten Irlandbesuches 1977 kaum nennenswerte Zahlen an Delikten gegeben hatte (ein Mord in Dublin), bemüht sich Irland heute, auch in diesem Bereich EU-Normen zu erreichen.
Ja, für die Jugend würde viel getan.
»That’s good .«
Darauf tranken wir noch einen.
Dann kam sie auf die IRA und Nordirland zu sprechen. Sie wußte, daß England in die sechs Ulster-Counties sehr viel Geld hineinpumpt, wartete hoffnungsvoll auf den Tag, an welchem der
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