Zwischen Wind und Wetter
Londoner Regierung das Geld dafür ausgehen würde.
Und daß die IRA sehr viele Sympathisanten hat, berichtete sie. Die Leute sagen es nicht laut, auch nicht in der Kneipe. Aber — ihr Blick schweifte gar nicht traurig durch das Lokal — heute sei ja niemand hier. Da sage sie es auch laut, das mit der Sympathie für die IRA und mit der Abneigung gegenüber Großbritannien.
Yes, Britannia rules over the waves, Britannien als Herrscher über alle Weltmeere, das ist vorbei, spätestens seitdem ich diesen Spruch vor einigen Tagen auf einer zerdötschten Streichholzschachtel gefunden hatte, die verloren am Wegesrand lag.
Der Fernseher lief und lief, wir wandten ihm den Rücken zu. Die Irinnen und Iren des Ortes kamen an diesem Abend nicht mehr.
Spät, nach dem letzten Pint, gab es einen sehr herzlichen Abschied, und hinter uns schaltete Ryan’ s Daughter die Lampen mit dem Siemens-Schuckertschen Strom aus, auch die einsame Außenbeleuchtung. Alles lag im Dunkeln und war schon fast nicht mehr wahr.
Leb wohl, Ina Ryan, wir werden dich kaum Wiedersehen. Schwebte da nicht wieder eine Postkarte zu Boden?
Später haben wir ihr eine Farbkopie des Aquarells ‘Ryan’s Inn’ geschickt. Und eine Kopie der ‘Metzgerei’ für ihren Nachbarn, den Butcher.
Irgendwann kam ein Antwortbrief mit vielem Dank, auch vom Butcher. Das Bild hängt an der Kneipenwand — wahrscheinlich zu hoch — , und: thousand thanks for the lonely thought in remembering me, nice people like you are rare in these modern times. Und sie würde trotz der großen Entfernung an uns denken und hoffen, daß wir uns Wiedersehen.
Your’s sincerely...
DAS LEUCHTFEUER AM BLACK HEAD
Die ‘English Times’ zeigt ein Titelbild von Kanzler Kohl mit der Hand vor dem Gesicht: Bonns Boom goes to Dust! Soll wohl heißen: Bonns Aufschwung verflüchtigt sich. Unsere Wünsche nach besserem Wetter werden ebenfalls zu Staub. Der Wind ist auf Nordwest umgesprungen und hat Wolken mitgebracht. Die ganze Nacht hat es geregnet, wohlig haben wir es in unseren Luxusbetten registriert und uns noch einmal umgedreht.
Die morgendlichen Schauer muß man ausschlafen! Der Spruch des Tages frei nach Kanzler Kohls Devise, alle Probleme auszusitzen, ist von Ilse.
Wir frühstücken um zehn Uhr.
Unsere Wirtsleute haben das Frühstück gemacht: Cornflakes, Milch, Muesli, Schinken, Würstchen, Toast, Ei, Brot, Scones (Brötchen aus feinem, festem Teig), verschiedene Marmeladen, gebackene Tomaten, Orangensaft, Tee.
»Are you right ?« fragen sie.
Oh ja, sehr, es ist alles in Ordnung, wir platzen fast.
Gut gestärkt und trocken starten wir um elf. Das Zimmer hat (mit Dusche und Frühstück) vierzehn Pfund pro Person gekostet. Bye, bye!
Durch kleine Ortschaften, durch grüne Landschaften mit mäanderndem Flußlauf gelangen wir in die Burren, eine grauweiß wirkende Karstlandschaft. Sie entstand während der letzten Eiszeit; tiefe Risse durchfurchen das Kalksteinplateau, unterirdische Höhlen haben sich gebildet. Die vielfältige Flora entstand durch nordische Samen, die das Eis hinterlassen hat, gemischt mit südländischen Pflanzen. Während der Steinzeit siedelten sich Menschen an, die durch Rodung für die endgültige Verkarstung der Burren sorgten.
Fast schlagartig beginnt die steinige, flach geplattete, einzigartige Urlandschaft mit ihren vielfältigen Pflanzen, mit Seen, die austrocknen (Angeln vergeblich!), Flüssen, die verschwinden und unterirdisch weiterfließen, mit Dolmen und weiten Blicken auf kahle Berge.
Die Sonne kommt durch. Wir genießen die Fahrt auf den sich windenden Straßen mit rauhem Asphalt trotz der Steigungen. Die Steigungen sind mäßig, leisten sich im Gegensatz zu Wales (straight ahead!) auch die Andeutung der Anfänge eines Versuchs von Serpentinen (lat. serpens, serpentis, f. = die Schlange). Obwohl daraus nicht viel werden kann, denn in Irland gibt es der Sage nach, aber auch in Wirklichkeit, keine Schlangen.
Uns voraus haben sich riesige Wasserwolken gebildet, deren Formationen uns faszinieren. Wir rollen mitten hindurch die Abfahrt nach Ballyvaughan hinunter zur Bucht von Galway.
Ballyvaughan ist ein Fischerdorf mit kleinem Hafen; drei oder vier Boote liegen am Kai im Niedrigwasser. Ich zapfe Wasser am Dorfbrunnen, wir kaufen etwas ein und suchen uns einen Standplatz auf der anderen Seite des Hafens. Vorbei an Monk’s Bar, mit Blick auf das Meer, geschützt hinter Hecken. Monk’s Bar scheint der kulturelle Mittelpunkt des Ortes zu sein.
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