Zwischen Wind und Wetter
Dort kann man nicht nur Muscheln und anderes Seafood kaufen und essen, sondern auch Boote und Fahrräder ausleihen und Auskünfte aller Art bekommen.
Wir essen ein Stew mit Hühnerfleisch vorm Zelt. With real chunks of prima chicken, mit echten Teilen von Superhühnern, so steht’s auf der Dose.
Ilse zeichnet ein Cottage und skizziert einige Szenen am Hafen. Sie hat auch einen Block mit grauem Ingres-Papier von zu Hause mitgenommen. Warum nur grau?
»Weil in Irland alles grau ist, da kann ich Farbe sparen !«
»Nein, in Irland ist doch alles grün, selbst die Kuhfladen .«
Nein grau, nein grün, nein grau... Das Spiel haben wir als Kinder gespielt, wenn wir nicht einschlafen konnten. Mit ja, nein, ja, nein, bis einer endlich nachgab oder einschlief.
Heute stoppt uns der Nachtisch, wir tunken Bananen in Honig. Oder heißt es Banane an Honig? Im Zelt wohl eher Honig an Hose oder sonstwo, wohin er nicht gehört.
Der Kilometerstand beträgt vierhundertdreiundfünfzig, nicht gewaltig, oder zählen bei Regen die Kilometer doppelt?
Der andere Morgen ist grau, Wolkenberge drohen in der Ferne. Wir bleiben im Zelt, dort wird das Kaffeewasser schneller heiß. Gestern abend habe ich mir einen Finger verbrannt, genau den, dessen Vereiterung gerade dank der Wunder wirkenden Vaselinesalbe verheilt war.
Krähen und Elstern treiben sich in unserer Nähe herum, eine Amsel schlägt so laut, daß die Ohren klingen. Der Blick über das Meer verliert sich im grauen Dunst. Dahinten liegt Galway, noch vierzig Kilometer. Und dann Connemara... Nach Galway wollen wir, wo das Geburtshaus von Nora Barnacle steht, der Lebensgefährtin James Joyce’s, und das Haus des Richters Lynch, der — im ausgehenden Mittelalter — aus übergroßem Rechtsempfinden wegen eines Totschlages seinen eigenen Sohn zum Tode verurteilte. Der ihn selbst hängen mußte, weil der Henker geflohen war, die Bevölkerung um Milde bat. Der, als großer Mann seiner Stadt, als Modernisieren der rege Handelsbeziehungen mit Spanien aufgebaut hatte, an diesem Drama zerbrach. Und uns das Wort ‘lynchen’ hinterlassen hat.
Wir überprüfen unsere Wegstrecke auf der Landkarte, unsere Ziele, den geplanten längeren Aufenthalt in Dingle, die Hafenstadt Cork als irischen Endpunkt dieser Reise, prüfen den Kalender und entschließen uns, daß weniger mehr sein soll. Also nicht nach Galway, und nicht nach Connemara...
Start. Wir schleppen unsere Abfalltüte mit ins Dorf auf der Suche nach einem Litter Bag, auf gälisch Bruscar. Es ist kein Abfalleimer zu finden. Wo kein Bag, auch kein Litter? Ich mogele unseren Abfall in den Papierkorb des kleinen Supermarktes.
Auf zum Black Head! Dort gibt es einen Leuchtturm. Die Leuchtturmmalerin will endlich einen Leuchtturm malen. Nach knapp zehn Kilometern, im Windschatten der Burrenberge, haben wir ihn erreicht: genau auf dem Scheitelpunkt unseres Weges zur Westküste. Kaum sind wir um die Ecke, bläst uns ein heftiger Wind entgegen. Wir verstecken uns hinter einem der üblichen, niedrigen Mäuerchen. Als Ilse den Block herausholt, beginnt es zu regnen. Bei Regenwetter funktioniert das Malen mit Wasserfarben nicht.
Wir warten.
In einer Regenpause entsteht ein schnelles Bild vom Light House at Black Head Point, Burren, County Clare. Der weiße, eckige Turm ist nicht allzu hoch, steht am Fuß des Abhangs, der sich von der Straße zum Meer zieht. Auf dem gedrungenen Baukörper thront hinter einem niedrigen Geländer die in drei Richtungen verglaste Lichtkuppel. Ein schmaler Plattenweg führt durch die Burrensteine zum Turm. Ein kleines Fenster zur Landseite und eine Tür nach Süden sind die einzigen Öffnungen.
Natürlich ist die Anlage vollautomatisiert, es gibt kaum noch bemannte Leuchtfeuer in Europa.
Auf der anderen Straßenseite geht es die Burrenberge hinauf, die bunten Tupfer der Rucksackwanderer beleben das scheinbare Grau, das hauptsächlich durch das Gelb niedriger Pflanzen unterbrochen wird. Hier beginnt — oder endet — der Burren Way, ein beschilderter Pfad quer durch die Burren, die Wanderzeit beträgt ungefähr fünf Stunden. Ob die bunten Tupfer ihn wohl alle schaffen werden? Bis auf den Wind ist es ruhig hier, der Leuchtturm steht auf Fels, sicher an Land, und das Meer ist nur die Bucht von Galway, kein Schiff zieht vorbei.
Ich blicke empor zur Leuchtturmkuppel. Das waren noch Zeiten, als die Leuchtfeuer mit Holz, Torf oder Kohle betrieben wurden, als ‘geblüst’ wurde. In einer windstillen Nacht
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