Zwischen Wind und Wetter
Körperteil gesteuert bewegen konnte, schreiben zu lernen. Erst als er siebzehn Jahre alt war, öffnete die erste Klinik für zerebrale Kinderlähmung in Irland.
Als Christy ein eigenes Schreibzimmer haben wollte, weigerten sich der Vater und einer der ältesten Söhne, die beide Maurer waren, den Raum im Hof anzubauen, weil sie es für unmöglich hielten, daß der Junge längere Texte würde schreiben können. Erst als die Mutter sie beschämte, trotz ihrer vielen Arbeit mit der Großfamilie, die in den Slums von Dublin lebte, anfing, selbst die erste Mauer im Hof aufzuziehen, griffen Vater und Bruder endlich zur Kelle.
Christy Brown starb 1981 im Alter von 49 Jahren an einem Erstickungsanfall. Im Glaskasten bei ‘Korby’s’ ist sein Todesjahr mit 1980 angegeben, belegt durch einige Fotos von der Beerdigung. Seine Lebensgeschichte wurde 1989 in Irland verfilmt.
Voller Hochachtung standen wir jetzt vor dem schummrig beleuchteten Glaskasten, voller Hochachtung vor der Leistung des Dichters und der liebevollen Verehrung in diesem Städtchen weit ab von Dublin.
Und entdeckten die über dem Kasten an der Wand im Bogen aufgereihten Zeichnungen der Porträts der berühmten Kollegen James Joyce, William Butler Yeats, Sean O’Casey, George Bernard Shaw, Brendan Behan und Oscar Wilde.
So war Christy Brown in den Kreis der Lorbeerträger aufgenommen worden.
‘AN DAINGEANN’
IN DINGLE UND UM DINGLE HERUM
— Ein Tagebuch —
Mittwoch, 9. 6.
Um halb zwölf Abfahrt zum nächsten Leuchtturm bei Fenit, einer Felsnase einige Kilometer vor Tralee (tra lí). Knapp fünfundzwanzig Kilometer geht es über ruhige schmale Landstraßen, von hohen Hecken begleitet. Das Light House liegt fünfhundert Meter vor der Küste auf einer Felsinsel.
Wegen des beginnenden Nieselregens herrscht schlechte Sicht. Wir begnügen uns zunächst mit dem Light House Restaurant in Fenit, endlich einmal ein Leuchtturm mit Service. Wir lunchen. Gemüsesuppe und Smoked Salmon Salad, ein Salat mit geräuchertem Lachs, mit viel Brot und Butter. Die freundliche, ältere Wirtin bringt uns zwei überschäumende Stouts. Die Kneipe ist groß und dunkel, hat wohl nur am Wochenende Hochbetrieb. Wir sitzen in einer Ecke unter Fenstern mit eingeschliffenen Leuchtturmmotiven, an der Theke genießen drei Straßenbauarbeiter ihre Mittagspause. Immerhin macht der Ort etwas aus seinem Leuchtturm, der zwar auch nicht zu erreichen ist, aber nicht abgesperrt werden muß.
‘The Lighthouse. Restaurant. Lounge, Bar, Accomodation, Seafood.’
Im Eingangsbereich des Restaurants hängen einige verblichene Drucke von historischen Seglern, unter anderem die berühmte ‘Cutty Sark’, der schnellste Bananen-Clipper seiner Zeit. Dicht gefolgt von der ‘Thermopylae’, die am Great Sea Race von 1872 teilnahm. Die Originale wurden ‘painted by John Bentham-Dinsdale’.
Nach dem Lunch wird das Wetter so, wie der Nachrichtensprecher gestern versprochen hat: kein Regen und etwas wärmer, um die siebzehn Grad. Wir radeln zum Hafen und wandern dann weit hinaus zur Felsspitze, damit die Leuchtturm-Malerin zu ihrem Recht kommt. Ich klettere zum Meer hinunter, hole ihr etwas Seewasser, sie malt heute in Salz, sozusagen in Aqua-Chlorid.
Es ist Ebbe, die weiter vorgelagerten Felsausläufer liegen frei.
Dicht von Tangpflanzen überwuchert, ziehen sich die vom Meerwasser ausgehöhlten Steinformationen dahin, in den Höhlungen finde ich Schnecken, Muscheln, Austern, Krebse und Wasserflöhe. Seeigel, die es auch an den irischen Küsten gibt, haben sich hier nicht angesiedelt. Die dicken, hellgrünen Fruchtkugeln des Seetangs platzen mit schmatzenden Geräuschen unter meinen Füßen weg, einige Male rutsche ich aus und lande in den kleinen Teichen übriggebliebenen Flutwassers. Schlangengleich winden sich die langen Tangblätter über Stellen sandigen Meerbodens. Das Land fällt zum Meer hin langsam ab, nach einiger Zeit erreiche ich den Wassersaum. Eine Stunde lang befinde ich mich auf dem Meeresboden, fünf Meter unter der Wasseroberfläche.
Atlantis ist nicht zu sehen. Atlantis, Symbol für Naturgewalt und menschliche Unzulänglichkeit.
‘Brüllten die Ersaufenden nach ihren Sklaven?’ läßt Bertolt Brecht seinen lesenden Arbeiter fragen. ‘Atlantis ist Symbol für das Unbekannte in der Kunst’, sagt der Maler Willi Baumeister. Das muß ich der Malerin erzählen!
Nach Süden hin, gegenüber, auf der anderen Seite der Tralee Bay, liegt die Halbinsel Dingle. Wolken scheinen
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