Zwischen Wind und Wetter
Blicke wandern durch die größtenteils beschlagenen Fensterscheiben nach draußen, auf den Atlantik
hinaus. Wahrhaftig, zwei Surfer sind auf dem Wasser. Kaum haben wir uns mit
einem Schluck Smith wick’s zugeprostet (boycottieren wir Guinness? Nein, das
gelingt kaum, Smithwick’s kommt auch von Guinness), beginnt sie mit einer ihrer
Lieblingsbeschäftigungen. Sie läßt ihren Zauberblick (Hag’s Head!) auf die
Surfer hernieder und schon liegen sie im Wasser. Sie mag Surfer nicht, warum
weiß kein Mensch. Und sie legt sie einfach aus der Ferne um. Ich wollte es
anfangs nicht glauben, aber es ist so. Neuerdings funktioniert es sogar ohne
ihr Hingucken, es reicht, daß sie sich in Strandnähe aufhält...
Irland
beginnt auf uns abzufärben. Willkommen bei den Käuzen. Man muß einfach daran
glauben, das sagt die Kirche auch; wobei selbst berühmte irische Lyriker, zum
Beispiel der Nobelpreisträger von 1995, Seamus Heany (attention, die Iren
kommen!) gern an Sagen, Legenden und Zaubereien glauben, auf jeden Fall, wenn
es sich auf die Herkunft der eigenen Familie und deren Namen bezieht.
Folk Music
klingt aus unsichtbaren Lautsprechern, das Smithwick’s schmeckt immer besser,
eine angenehme Müdigkeit durchzieht unsere Körper, macht uns zufrieden.
Plötzlich
bricht eine Busladung irischer Ausflügler in unsere Ruhe. Sie bilden eine große
Runde, lachen und schreien, es dauert einige Zeit, bis alle mit Getränken
versorgt sind. Die gute Laune der überwiegend älteren Irinnen und Iren ist
ansteckend. Ist denn kein Fiddler da? Macht nichts. Sie beginnen zu singen,
schon sind die ersten auf den Beinen und tanzen. Die anderen lachen und
klatschen im Rhythmus. Es ist etwas los in O’Looney’s Bude.
Willkommen
bei den Käuzen!
In der
nächsten Woche findet im nahen Ennistimmon ein Sängerfestival statt. Doch dann
werden wir schon weiter sein.
Ich notiere
einiges in mein Tagebuch.
»Fängst du
schon an mit dem Roman, mit dem ‘Dritten Fahrrad’ oder so ?« fragt Ilse.
Ach so, die
Schlaglochtheorie. Noch ein Smithwick’s, bitte. Die Kelten, so heißt es in
wissenschaftlichen Publikationen, die Kelten huldigten dem Trunke und der
Dichtung.
Nachdem die
Rasselbande wieder aufgebrochen ist, Ilse eine Skizze zeichnet und ich mich
meinem Tagebuch zuwende, setzt sich ein älterer Mann zu uns. Das rotwangige,
hagere Gesicht mit dem leichten Stoppelbart wirkt sehr irisch, auch das
Kraushaar. Er hat sein Bier mitgebracht und fragt, was wir da machen.
Ilses Skizze
der Männer, die vor der Theke hocken, er ist einer von ihnen, entlockt ihm ein
Schmunzeln. Er will sie gleich den anderen zeigen. Und ich? Ich erzähle etwas
von einer Geschichte über irische Schlaglöcher, über die Pot Fioles.
»Oh«, er
wird lebhaft, »kennt Ihr die Geschichte von Martin Flannigan aus Cavan ?«
Nein,
natürlich nicht, wir kennen weder Martin Hannigan noch seine Geschichte. Ich
hätte jetzt auch verneint, wenn ich sie gekannt hätte.
Tim, so hat
er sich vorgestellt, beginnt zu erzählen.
Martin
Hannigan aus Cavan hatte eines Tages die Schnauze voll. Die zunehmende Anzahl
der Pot Holes auf den Landstraßen der Provinz Cavan und die Inaktivität der
zuständigen Behörden brachten den Iren auf die Palme. Und wie Iren so sind, sie
sind Improvisieren und Selbsthilfe gewohnt, griff Martin zu Farbe und Pinsel.
In besonders dunklen Nächten war er auf den Landstraßen unterwegs und pinselte.
Pinselte mit weißer Farbe unübersehbar groß ‘Stop’ oder ‘Danger’ vor die Holes,
die er zusätzlich mit gelben Farbkreisen markierte.
Außerdem
begann er die Radkappen der Autos zu sammeln, die sich dank der Schlaglöcher in
den Straßengräben angehäuft hatten.
Nachdem
zunächst die örtliche Presse in humorvoller Form über den nächtlichen
Asphaltkünstler berichtete, ohne ihn zu kennen, wurde das Ganze schließlich zum
Politikum, nachdem man Martin in flagranti erwischt hatte.
Und zwar am
hellichten Tag. Die Nächte hätten nicht mehr ausgereicht, gab der Übeltäter zu
seiner Entschuldigung an.
Dann
versprach der Umweltminister einen finanziellen Zuschuß für die Provinz Cavan,
der allerdings wer weiß wohin floß, nur nicht in die Pot Holes.
So griff
Martin frohgemut wieder zu Pinsel und Farbe.
Jetzt
versuchte die Verwaltung von Cavan auf diplomatischem Wege, den Künstler vom
Schlaglochpfad abzubringen. Dem arbeitslosen Martin wurde ein Job in der
Behörde angeboten. Auf die Idee, die Löcher zuzumachen, kam man nicht. Aber
Weitere Kostenlose Bücher