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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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stand, wie sie ihr kleines Dienstmädchen zuweilen mit dem Bahnarbeiter Zuschkau angetroffen hatte, aber das blieb undeutlich und nebensächlich.
    Karbon, der spürte, daß sie nicht heimfinden wollte, zog sie mit sich und wieder hinaus auf die Straße, die nach Obanger zurückführte, fort von der Stadt.
    »Noch fünf Minuten«, murmelte er.
    Sie sagte traumwandlerisch: »Es brennt ja noch immer«, als wenn dies Entschuldigung und Erklärung genug sei.
    Es war so unsinnig und so jung, dieses Herumwandern bei Nacht, wie mit dünnen, heißen Ketten aneinandergehängt; Peter Karbon, der Dreiundvierzigjährige, spürte es mit Bewußtsein und brennender Genauigkeit, daß es eine von den Nächten war, in denen er Extrakt lebte. Er sagte auch etwas davon zu Elisabeth.
    »Es gibt nur eines«, sagte er, »das: dieses Spüren, daß man lebt, dieses ganz durchdringende, dieses – es ist der einzige Sinn, den das Leben hat.«
    Elisabeth begriff ihn nicht ganz, sie blieb hinter leuchtenden Nebeln.
    Sie gehen und gehen, nun sind sie wieder in Obanger, kreuzen zum zweiten Male die Backsteinstraße, in die sie eineinhalb Stunden zuvor einbogen, sie erreichen die Stelle, die ›An der Mauer‹ heißt und Herrn Profets Besitz eingrenzt, da stehen sie dann und starren in den Brand, lange Zeit, reden nichts, warten auf noch höhere Flammen, noch höhere. Gehen spät weiter, wie das Feuer zusammenzusinken beginnt, als ob ihnen kühl dabei würde; ihre Hände sind ganz ineinander eingewohnt, und manchmal fühlt Elisabeth einen feinen Schmerz, wenn Karbons Nägel sich in den empfindlichen Mittelpunkt ihrer Handfläche eingraben. Da sind Nerven, von denen sie nie wußte, es klopfen neue Adern in ihrer Kehle, und ihr Körper wird wie ein Land, das sie zum erstenmal bereist, voll von Entdeckungen und Geheimnissen. Sie umwandern, immer der Mauer folgend, den ganzen Fabrikskomplex, tasten sich an der Rückseite des Profetschen Besitzes hin durch nasses Gras, bis zu der schmalen Straße, die in die Weinberge hinein und zur Station hinunter führt. Elisabeth Persenthein ist inzwischen so müde geworden, daß sie immerfort auf Wolken tritt, zugleich aber so wach wie nie zuvor in ihrem Leben. Der Brand scheint gelöscht zu sein, hinter ihnen schlägt der Himmel wieder klar und nachtfarben zusammen, der Mond wandert mit beleidigtem Gesicht zum Kirchturm hin, auf dessen Spitze ein kleines Glänzen sich sichtbar macht. Im Tal unten fährt die Düßwalder Feuerwehr heimwärts; Peter Karbon und Elisabeth stehen am Rand der Weinberge und warten, bis es wieder still geworden ist.
    »Der Nebel«, sagt er und zeigt irgendwohin.
    »Dort ist der Rhein«, antwortet sie, und jedes Wort kommt ihnen beladen und bedeutsam vor. Karbon erkennt den Brennesselduft der Straße wieder, an der sie sich an dem Unglücksabend verfuhren.
    »Hier in der Nähe muß es sein«, murmelt er und wittert in die Gegend.
    Bergab hat er Elisabeth ganz unter seine Schulter genommen, sie kommt sich beschützt und beheimatet vor in dieser Wärme wie noch nie. In den Düßwalder Forst hinein glänzt das Weiß der Meilensteine, es ist jetzt tiefste Nacht geworden, niemand mehr unterwegs, nur Karbon und Elisabeth gehen, gehen, gehen, flüstern, halten an, schmelzen zu einem Kuß ineinander, gehen wieder.
    »Hier muß es geschehen sein«, sagt er und erkennt im Dunkeln den Baumstumpf wieder, auf dem er damals unmeßbare Zeit saß, mit der ohnmächtigen Leore Lania auf den Knien. Er holt sogar sein Feuerzeug hervor, und im Schein des winzigen Benzinflämmchens betrachtet er die Straße, den Baum, die Kurve. ›Man lebt ja noch‹, denkt er dabei, ›man ist wieder vorhanden – und so stark – mit solchem Genuß wieder vorhanden auf der Welt.‹ Es ist eine Gebärde der Auflehnung, mit der er sich wieder auf den Baumstumpf setzt, genau auf den gleichen Baumstumpf, und Elisabeth in die Arme nimmt, horchend, wie ein Musiker sein Instrument, ein Cellist sein tönendes und vibrierendes Violoncell.
    Dann beginnt er plötzlich von Fobianke zu sprechen, denn Fobiankes zuverlässiger Schatten ging schon die ganze Zeit neben ihnen her und hatte etwas mitzuteilen.
    »Pflicht«, sagte Peter Karbon und knüpfte damit an einen Einwand an, den Elisabeth lange vorher mit bedrängtem Gewissen geflüstert hatte. »Du sagst Pflicht. Aber noch niemand hat entscheiden können, welche Pflicht die richtige, wichtige ist, die gegen andere oder die gegen sich selber. Fobianke – weißt du, ich muß schon die

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