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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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flüsterten, standen auf, sie gingen wieder, gingen noch weiter, kehrten um, gingen jetzt endlich der Stadt zu, sie gingen schon die ganze Nacht, sie gingen jahrelang, immer. Sie erzählten einander die ganze Vergangenheit und die ganze Zukunft. Das Morgengrauen war noch nicht da, als sie beim Angermannshaus anlangten, aber der Morgentau fiel schon. Er lag in winzigen Perlen auf Elisabeths Haar und kühlen Lippen.
    »Komm gut heim, komm gut heim, komm gut heim«, flüsterte Karbon ungezählte Male, als sie schon auf der Schwelle ihres Hauses stand und den Schlüssel in das Tor steckte. Es war entsetzlich schwer, sich von ihr zu trennen. »Komm gut heim. Sei mir treu. Bis morgen.«
    »Morgen«, sagte Elisabeth. Es war ein geisterhaft schwebendes Lächeln, mit dem sie das Rieseln des Mörtels vernahm, als die Tür sich in das Schwarz der Hausdiele öffnete.
    ›Ich werde auf der Chaiselongue schlafen‹, dachte Elisabeth, als sie in der Diele stand, mit dem traumhaften Gefühl, von einer langen, weiten Reise, von einer Art Weltumseglung zurückzukehren. Während sie die Klinke zum Sprechzimmer hinunterdrückte – im Angermannshaus gab es noch schwere, sonderbar geformte Klinken aus dem 16. Jahrhundert –, wunderte sie sich fast, daß die Tür noch mit dem alten, tausendfach gehörten Klang antwortete. Da drinnen noch die Lampe brannte, wurde sie starr und blieb so auf der Schwelle stehen, mit dem Morgentau im Haar, dem geisterhaft blassen, großäugigen Lächeln und mit einer winzigen Wunde auf der Unterlippe, die nun zart zu brennen begann.
    Doktor Persenthein saß mit einer Zeitschrift in der Hand da, merkwürdigerweise nicht vor dem Schreibtisch, sondern auf dem Untersuchungsstuhl, ganz vorn an der Kante, las aber nicht, sondern ließ Hand und Zeitschrift zwischen seine Knie hängen und dachte nach. Er hob erst den Kopf, als schon eine Sekunde vergangen war, und sagte: »Ach, du bist es –?«
    »Ja – ich«, antwortete Elisabeth, es war ein leerer und überflüssiger Austausch von Worten. In dem Zimmer hing eine lastende, drückende Atmosphäre von Kummer und schlechter Laune, Zigarrenrauch zog dicht um die hartweiße Lampe auf ihrem biegsamen Stiel, eine Phiole mit Tabletten lag geöffnet auf dem Glasständer, ein Zeichen, daß der Doktor eine seiner häufigen Kopfneuralgien zu bekämpfen versucht hatte; feuchte, beschmutzte Handtücher im Winkel auf dem Boden, der Abfalleimer ungeleert und eine graue Kälte und Traurigkeit über Mann und Raum geschichtet. Elisabeth erkannte dies alles wieder, ach, sie erkannte es wieder als die Luft und den Kreis, in dem ihr Leben und ihre Ehe hingegangen waren bis zu diesem verzauberten Heute.
    »Schläfst du denn noch nicht, Kola?« sagte sie mitleidig und ohne Sinn.
    »Ist es denn spät?« fragte er zurück, erinnerte sich vor ihrem ungewissen Achselzucken erst wieder, daß er am Abend zuvor, Ewigkeiten zuvor, Sorgen um seine Frau gehabt hatte, und setzte hinzu: »Wo warst du denn so lang?«
    »Es hat ja gebrannt«, gab Elisabeth leise an. Mechanisch nahm sie die gefüllten Aschenschalen, öffnete Fenster und Fensterläden und schüttete die Asche hinaus, schichtete ein paar hinuntergefallene Papiere auf den Schreibtisch und hob die schmutzigen Handtücher auf. Persenthein schaute ihr zu, den Kopf von seinen schweren Schultern nach vorne gezogen.
    »Der Brand ist ja lang vorbei«, murmelte er.
    Elisabeth kam zu ihm, und gewohnt wie alles andere war der Griff, mit dem sie seine Schläfe umfaßte und seinen Kopf für einen Augenblick an ihre Schulter nahm; er schloß die Augen und atmete tief.
    »Komm, Kola«, sagte sie. »Du hast Kopfweh. Du mußt schlafen gehen.«
    »Wo warst du denn?« fragte er eigensinnig, todmüde dabei wie ein Läufer, der sein Äußerstes hergegeben hat und dennoch als Letzter angekommen ist.
    »So – ich bin mit Herrn Karbon spazierengegangen.«
    »Die ganze Nacht?«
    »Ja«, sagte Elisabeth gestreckt und schaute ihren Mann an.
    Er schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht«, sagte er. »Paßt nicht zu dir. Was ist denn los?«
    Er trat zu ihr hin und lehnte seine Stirne gegen die ihre, auch das war eine gewohnte Bewegung, wenn er Kopfschmerzen hatte; sie spürte seine überanstrengten Adern klopfen. »Ist denn etwas los?« fragte er, so nah an ihrem Gesicht, daß sie ihn nicht mehr sehen konnte.
    »Ja«, flüsterte sie. Der Doktor hatte ein Nein erwartet. Seine Knie wurden plötzlich schwach, er hatte Ähnliches noch nie gespürt.
    »Was ist

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