Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
denn los mit dir?« flüsterte er noch einmal, kaum hörbar.
    »Nicht jetzt. Wir sprechen noch darüber. Komm jetzt schlafen«, sagte Elisabeth mitleidig, nahm ihre Stirn noch von seiner fort, legte aber den Arm um seine Schulter. Sie hatte die Idee aufgegeben, hier unten zu übernachten, der Mann tat ihr unbeschreiblich leid, müde, beschwert und ahnungslos, wie er da stand.
    »Bist du meinetwegen so lang aufgeblieben?« fragte sie, hinter ihm die Holztreppe hinaufsteigend.
    »Nein«, antwortete er zu ihrer Erleichterung. »Da war etwas anderes.«
    »Ein Patient bei Nacht?«
    »Nein«, sagte er, das Treppenlicht abdrehend und die schrägen Dielen des Schlafzimmers betretend. »Ganz etwas anderes. Ich habe da einen Schlag bekommen – das Schlimmste ungefähr, das mir passieren konnte. Ich gebe dir's morgen zu lesen.«
    ›Ein anonymer Brief‹, dachte Elisabeth sogleich. »Hängt es – hängt es mit mir und Karbon zusammen?« fragte sie, zweimal ansetzend.
    »Es ist wegen meiner Idee«, sagte der Doktor, biß aber die Lippen rasch zusammen, denn ihm kam es vor, als müsse er weinen. Einen Augenblick später erst war es, als ob Elisabeths Frage ihn eingeholt hätte, und er erwachte. »Ach so – mit dir und Karbon – ach so«, sagte er. Er saß auf seinem Bettrand, der mit gewohntem Knarren unter ihm schaukelte, und zog die Stiefel aus. Er wendete den Kopf und die entzündeten Augäpfel langsam nach Elisabeth und schaute sie stumm an. »Was ist denn mit dir und Karbon?« setzte er hinzu und wendete sich wieder ab. Elisabeth gab keine Antwort.
    Die Fenster waren hier offen, und eine straffe Kühle lag im Raum. Elisabeth stand mit gestrecktem Kinn und hängenden Armen eine Weile in der dunkelsten Ecke, bevor auch sie begann, sich auszukleiden. Die Astlöcher in der Balkendecke schlossen sich zu seltsamen Gesichtern zusammen. Wenn Elisabeth die Augen schloß, sah sie immerfort noch Flammen, blaue, bewegte Flammen über schwarzen Dachstühlen. Sie trat in die tiefe Fensternische und schaute hinaus. Es dämmerte noch immer nicht. Sie hätte gern gebetet, aber es gelang nicht. Sie spielte mit der Zunge an der kleinen Liebeswunde ihrer Unterlippe und hatte eine unmeßbare Sehnsucht danach, allein zu sein und an Peter Karbon denken zu können. Doktor Persenthein, langsam wie er von Natur aus war, brauchte Ewigkeiten, um endgültig in sein Bett zu kommen. Endlich vernahm Elisabeth das allabendliche Stöhnen der Sprungfedermatratze, das die Landung ihres Mannes im Bett anzuzeigen pflegte, und sie wendete sich wieder dem Zimmer zu.
    »Kann ich auslöschen, Kola?« fragte sie.
    Es war eine der Umständlichkeiten und Unzulänglichkeiten ihres häuslichen Lebens, daß man keinen Lichtschalter am Bett hatte, sondern immer an die gegenüberliegende Wand wandern mußte, um an- und abzudrehen. Diesmal antwortete Persenthein nicht. Elisabeth löschte aus und legte sich im Finstern zu Bett. Mehr als je glich sie der toten Sigismunda von Raitzold auf ihrem Steinsarkophag, sie spürte es selber, wie sie da lag in ihrem kühlen Nachthemd aus Leinen, Knie und Zehen lang gestreckt, Arme und Hände eng an den Körper gelegt, alles bereit zur Abwehr und Verteidigung unbestimmter Dinge.
    Es sind Winzigkeiten, an denen verheiratete Menschen nachts erkennen, ob der andere schläft oder wach im Bett liegt. Elisabeth brauchte nur die Atemzüge ihres Mannes zu hören, und sie wußte, ob er schlief, weil sie doppelt so langsam wurden im Augenblick des Einschlafens. Sie wieder pflegte, wenn sie wach lag, mit ihren auf- und zugeschlagenen Wimpern ein zierlich bürstendes Geräusch auf dem Kissen zu vollführen, das Persenthein zuweilen mit zärtlich-unterhaltsamer Rührung belauscht hatte, ohne jemals darüber zu sprechen. Die Stummheit, die nach der letzten Frage entstanden war, dauerte so lang und legte eine solche Weite zwischen sie, daß der Doktor es angstvoll so spürte, als wenn gar kein Weg mehr von ihm zu Elisabeth zu finden wäre. Er tastete mit der Hand nach ihrem Gesicht. Ja, ihre Augen waren geöffnet.
    »Warum hat Lungaus eigentlich seine Diät nicht mehr bekommen?« fragte er nicht unfreundlich; es war etwas ganz anders, als er fragen wollte – aber es war doch ein Anfang. Elisabeth bekam Mut bei der unerwarteten Sanftheit seines Tones. »Ach Kola«, sagte sie still. »Ich habe es nicht mehr geschafft. Ich schaffe es einfach nicht mehr.«
    ›Ja‹, dachte er und nickte im Dunkeln sogar mit dem Kopf dazu. ›Sie schafft es nicht

Weitere Kostenlose Bücher