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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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»Sie sind ja verrückt«, sagte er und atmete ebenso schwer wie der asthmaleidende Raitzold.
    »Bevor ich Sie auf das Gut lasse«, begann dieser von neuem, »– ich ruiniere alles. Ich richte alles zugrunde. Kein Strauch, kein Gitter, die Blumen – meine Schwester hat eine Blumenzucht eingerichtet – ich reiße die Rosenstöcke heraus und schmeiße sie auf den Misthaufen, ich stopfe den Brunnen zu, ich – ich –
    Und das Sonnentreppchen«, sagte er nun so schnell und heiser und leise, daß es völlig irre klang, »glauben Sie, daß ich Ihnen das Sonnentreppchen lasse? Ich lasse die Reben herausgraben, ich grabe die Stöcke heraus, ich selber, hier, mit meinen Händen, jeden einzelnen Rebstock.«
    Herr Profet begann zu lächeln. »Die Rebstöcke«, sagte er. »Aber die Erde bleibt ja. Um die Erde geht's beim Sonnentreppchen.«
    »Ja!« schrie Herr von Raitzold plötzlich heraus und hob beide Hände hoch in die Luft. »Um die Erde geht's! Das wissen Sie also, daß es um die Erde geht? Und dann wollen Sie kommen, dann will ein Kerl wie Sie kommen und die Erde verbauen, Lagerschuppen, Nebengeleise, was? Parzellen, Bodenspekulation, wie? Ihr ganzes elendes Dreckzeug wollen Sie hinstellen auf die Erde von meinem Sonnentreppchen –«
    Jetzt weinte Herr von Raitzold unverhohlen, nicht weich, nicht mit Tränen, sondern mit einem lauten, heulenden Atemziehen nach jedem Wort. Ohne Zweifel machte dies Eindruck auf Herrn Profet. Er dachte gar nicht daran, das Sonnentreppchen als Baugrund zu benutzen; im Gegenteil, es hatte ihm immer vorgeschwebt, daß Besitz und Pflege dieses uralten Weingutes ihn zu einer andern, höheren Schicht Menschen einordnen würden. Aber weil die lauten Klagen des Gutsbesitzers ihm mit starker Bewegung ans Herz griffen, sträubte er sein Fell und sagte: »Wenn ich Lust zum Bauen habe, weiß ich nicht, wer mich daran hindern soll. Sie ganz gewiß nicht.«
    »Doch. Ich. Doch. Hund!« brüllte Herr von Raitzold und riß den Revolver hervor, der sich an der Hosentasche verfing und erst eine Sekunde später zum Vorschein kam. In dieser Sekunde erblaßte Profet zwar, verlor aber den Kopf nicht. Er lächelte sogar, ein lippenweißes Lächeln, nicht aus Mut, sondern aus Schreck. Er tat einen glücklichen Griff gegen Raitzolds rechten Arm, drehte ihn kurz weg und nahm den Revolver aus der erschlaffenden Faust.
    »Sie sind ja verrückt. Sie sind ja lebensgefährlich«, sagte er nachher keuchend. Die Knie zitterten ihm jetzt, er sackte ab in seinen Klubsessel. Herr von Raitzold fiel gleich darauf in den andern, stützte die Ellenbogen zwischen die Knie und warf das Gesicht in die Hände.
    Schweigen.
    »Kann ich – kann ich – jetzt einen Kognak haben?« flüsterte Raitzold etwas später.
    »Bitte«, murmelte Profet und schob ihm die Flasche hin.
    Raitzold fand sie hinter Nebeln, seine Augen waren voll roter Adern, in denen das Blut und die Bewußtlosigkeit langsam verebbten. »Einen Augenblick – ich gehe gleich«, flüsterte er, tastete auf dem Schreibtisch, bis er seinen Revolver wiederfand, und steckte ihn dann in die Tasche. Beide Männer waren totenblaß, schweißbedeckt, ausgewunden wie schlappe Tücher.
    »Ich empfehle mich Ihnen«, sagte Herr von Raitzold.
    »Leider ist mein Wagen nicht in Ordnung; Sie müssen zu Fuß –«, sagte Herr Profet.
    Als der Gutsbesitzer schon draußen auf der Treppe stand, fügte Profet noch einen Satz hinzu: »Die ganze Angelegenheit schwebt noch. Vielleicht können wir uns einigen«, sagte er an seinem Todfeind vorbei.
    An der Mauer stand das Fräulein von Raitzold, wartend, rauchend und betend.
    »Wie steht's?« fragte sie, und ihre große Stirne war breit über das Licht der Fahrradlaterne gebreitet.
    »Ich glaube, wir behalten es – vorläufig«, antwortete ihr Bruder.
    »Wohin jetzt?« fragte Peter Karbon, als er Elisabeth aus dem kochenden Tumult der abgebrochenen Kinovorstellung herausgerettet hatte, seine lange, durchgearbeitete Gestalt immer zwischen sie und das Gedränge stemmend.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie fieberhaft, aber mechanisch schlug sie dennoch die Richtung nach dem Angermannshaus ein. Karbon ließ ihre zitternde Hand los und setzte sich in Bewegung; nach einer Weile schob er seinen Arm unter den ihren, es war für ihn eine selbstverständliche Geste. Für sie hieß es das Loslassen aller Zucht und Gesittung und das Abgleiten ins Uferlose. Der Himmel war flach, licht, zweifarbig, hellrot im Osten über der brennenden Fabrik,

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