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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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nacht.«
    Obwohl Elisabeth sich um Sanftmut bemüht hatte, klang dies so leidenschaftlich, so unerwartet aufbrechend, daß ihr Mann vor ihr erschrak. In dem Erschrecken war ein brennender, beißender Zorn. Und in dem Zorn zutiefst die Ahnung einer neuen, nie gekannten Süßigkeit. Wie fremd sie dalag, die Frau, mit ihrem plötzlichen Lebenshunger, wie neu sie war, wie unbekannt nach so vielem Verheiratetsein!
    Doktor Persenthein hatte sich bis hierher gezwungen, ruhig zu sein, genau so konzentriert ruhig wie bei einer Operation auf Tod und Leben, trocken beinahe, bemüht um Distanz zu der Verwirrung, die den Kern seines Lebens erfaßt hatte. Aber jetzt ging es auch in ihm zischend hoch; mit geballten Fäusten, Rot vor den Augen, Bitternis in der Kehle. Er warf sich in sein Bett zurück, um seine Frau nicht zu schlagen oder zu würgen. Er hatte eine verrostete Stimme, als er etwas zu sagen versuchte. »Heute nacht – hast du gedacht – aber ich bin dagesessen heute nacht – solche Angst um dich – und alles ist mir zusammengekracht heute nacht, die ganze Arbeit, alles, was soll denn jetzt …«
    Nein, er gab es auf. Dies alles ließ sich nicht sagen. Er drehte sich völlig um und legte sich flach auf sein Gesicht, denn es war nun fast hell geworden, und es gab ihm eine winzige Erleichterung, unsichtbar zu werden und sich so in das Kissen zu verbeißen. Elisabeth machte eine kleine, hilflose Bewegung und schwieg. ›Was soll ich denn tun?‹ dachte sie. Sie wollte sich Karbons Gesicht vorstellen oder nur seine Augen, aber das war auf abgründige Weise verschwunden. Sie hielt den Atem an.
    Sie verstand nicht gleich, was im andern Bett vor sich ging. Aus schräg gesenkten Augen und etwas erschreckt, sah sie, daß der Rücken ihres Mannes sich in großen Stößen dehnte und zusammenzog. Seine Fäuste zu beiden Seiten des Kopfes führten ein eigenes, wildes und krampfhaftes Leben. Dabei blieb aller Aufruhr völlig lautlos.
    »Was hast du denn? Was tust du denn?« fragte sie und legte einen ausgestreckten Zeigefinger in Kolas dünnes, leichtes Haar. Erst hinterher begriff sie, was da geschah.
    »Du weinst ja, Kola«, flüsterte sie.
    Er schüttelte verzweifelt den Kopf über dem Schluchzen, das er erstickte. Genau wie das Rehle, wenn es großen Kummer hatte.
    »Weinst du wegen deiner Arbeit?« flüsterte Elisabeth ratlos.
    Kola wendete ihr sein strömendes, zerstörtes, durchwühltes Gesicht entgegen. »Wegen der Arbeit? Was für ein Unsinn! Was geht mich die Arbeit an. Nur wegen dir, nur wegen dir, nur wegen dir, nur wegen dir!« schrie er ihr entgegen. Das vierfach wiederholte Wort schlug in sie ein.
    »Wegen mir?« wiederholte sie, spürte sich sonderbar kühl und schwach werden, wie zu einer Ohnmacht, und begann zu lächeln, während alle Erregung und alle Müdigkeit und alle Weglosigkeit zu Tränen wurde.
    Sie nahm ihren Mann in die Arme, wie sie Rehle genommen hätte, er sah auch Rehle überaus ähnlich mit seinen nassen Augen, die ihr Unglück nicht zugeben wollten, und mit seinem Mund, der schon wieder verstockt wurde, während er sich in ihre aufgefaltete Hand preßte. Sein Haar lag an ihrem Hals, warm und bekannt. Es roch nach Zigarren und Jod wie immer, natürlich tat es das – Elisabeth lächelte stärker, während sie mit einem fast tödlichen Schmerz spürte, daß etwas in ihr zerbrach. Sie dachte es sogar ganz deutlich: ›Da geht etwas in mir kaputt‹, dachte sie, ›eine Feder oder etwas; das kommt nie mehr wieder, das –‹, aber sie streichelte dabei Kolas Kopf und seinen Nacken, der mit deutlichen Wirbeln und mager aus dem blauen Rändchen seines Nachthemdes hervorkam. »Sei gut, sei gut, sei gut, sei gut«, sagte sie, »es geschieht ja nichts, sei gut, sei gut –«
    Eine Frau ging mit Peter Karbon eine Treppe hinauf, eine Frau stand mit ihm auf dem Deck eines Schiffes – es war ein fotografiertes Schiff aus einer Kaffeereklame –, eine Frau tanzte mit ihm, eine Frau, die nicht Elisabeth war.
    »Ich brauche dich, ich gebe dich nicht her, ich halte dich, ich halte dich, du bleibst bei mir, niemand darf dich wegnehmen, ich halte dich, ich halte dich, ich halte dich«, murmelte Persenthein dazu in ihre Hand hinein.
    »Ja, ja, Kola, ja, ja«, sagte sie dazu und streichelte ihn.
    Er hob seinen Kopf auf und stieß seinen Blick in den ihren, er sah auch wieder dem heiligen Georg ähnlich. »Ich liebe dich, ich liebe dich ja, ich liebe dich«, sagte er heftig, wie eine Drohung. Es war ein

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