Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
Mittelpunkt – auch wenn ich vergesse, dir in den Mantel zu helfen – Elisabeth?«
    Sie legte den Arm um seinen Hals und nahm seinen Kopf in die Hand, nicht ohne Zärtlichkeit und Vertrauen, wenn es auch eine Bewegung der Gewohnheit war. »Ach, Kola«, sagte sie leise, »es ist alles so schwer.«
    »Das Sittliche«, sagte er nachdenklich, und nun ließ er sich neben ihr auf das Kissen gleiten, schob auch den Arm unter ihre Schultern, »das Sittliche ist ja immer das Unangenehme und das Schwere. Kämpfen, Überwinden, Verzichten, Entsagen, Sichbeherrschen – da hast du die Dinge, die auf der Seite des Sittlichen stehen. Die Ehe steht auf dieser Seite; die Treue auch. Das andere – ich verstehe, wie verlockend es ist. Aber es paßt nicht zu uns, Elisabeth. Es ist nichts für Menschen wie wir. Das andere, das, was dir vorschwebt, ist keine Ehe, das ist ein Verhältnis.«
    Elisabeth rückte heftig von ihm ab. »Er wird mich heiraten. Es war meine erste Bedingung«, sagte sie rasch. »Ich habe es ihm sofort gesagt. Er heiratet mich natürlich.«
    Auf dies hin, das so unwissend klang, begann Doktor Persenthein zu lächeln, und er lächelte selten. Er war ganz zusammengefaßt wie bei einer schweren Operation.
    Er hatte ein klares und überwaches, ein seiltänzerisches Gefühl davon, wie vorsichtig er sich bewegen mußte, wie ungeheuer gefährlich es stand, wie alle Zukunft davon abhing, daß er sich in dieser entscheidenden Stunde zwischen Morgentau und Sonnenaufgang bewährte. Elisabeths Haare dufteten nach Brand und Bitternis. Sie war ganz transparent geworden in ihren Kissen, mit dem kleinen Brandmal verbotener Küsse auf der Unterlippe. Er spürte einen Abgrund von Liebe in sich für seine Frau, ein Gefühl, das ohne Boden war, brunnentief, unabsehbar. Er hatte maßlose Angst um sie und etwas wie eine keimende Freude: denn sie war doch bei ihm, sie sprach mit ihm, sie äußerte in aller Unschuld so ungeheuerliche Sätze, die ihr ganzes Vertrauen verrieten, ihre Zusammengehörigkeit, ihre Unfähigkeit zu lügen. Er legte ihren Kopf an seine Schulter, es war ein ganz bestimmter, eingewohnter Platz auf dem hübschen Muskel, den er dort besaß, und eine ganz bestimmte Haltung der Ruhe und Entspannung, die sie sogleich einnahm.
    »Er wird dich heiraten?« sagte er behutsam. »Aber Kind, Kind – es gibt auch legitimierte Verhältnisse. Glaubst du, daß du dazu Talent hast? Weißt du denn nicht, was für eine Frau du bist?«
    »Das verstehe ich nicht«, flüsterte sie.
    »Weißt du auch, daß er schon verheiratet ist?« fragte er behutsam. Nach einer Pause antwortete sie: »Ja. Er hat es mir gesagt. Er wird sich scheiden lassen.«
    »Geht das so einfach?«
    »Ja. Er sagt, es geht einfach. Seine Frau ist irgendwo auf einem Schiff im Mittelmeer. Er sagt, wenn sie zurückkommt – er sagt, sie ist ihm schon lang entfremdet.«
    Persenthein hatte eine brennende Wut auf diesen Peter Karbon, für den es kein Gewicht und keine Komplikationen zu geben schien. Wie leicht das lebte, wie obenauf das schwamm mitten in der Zersetzung und dem Verfall.
    »Und dann hat er doch dieses Mädchen, diese Schauspielerin mit?« sagte er, und es tat ihm unsinnig weh, Elisabeth zwischen all dies Undurchsichtige gemischt zu wissen.
    »Er hat sich schon von ihr getrennt.«
    »Ach. So schnell? So leicht?«
    »Ja, er sagt, es ist ganz ohne Schwierigkeit gegangen.«
    »Du hast viel Courage, Elisabeth. Ziehst du denn keine Schlüsse? Siehst du keine Parallelen?«
    »Wieso?« fragte sie töricht.
    Im gewöhnlichen Leben pflegte Doktor Persenthein nicht viel zu sprechen, immer nur in halben, kurzen Sätzen. Jetzt, da es ihm darauf ankam, Ruhe zu bewahren und sich richtig auszudrücken, hatte alles einen abstrakten, ein wenig erkältenden Klang: Es war die Tonart wissenschaftlicher Werke, mit der ihn Tausende von Arbeitsstunden imprägniert hatten. Er versuchte zu übersetzen für die Frau an seiner Schulter: »Glaubst du, daß ein Mensch, der die Frauen wegbraucht wie – wie Hemden oder wie Anzüge – daß der nun auf Lebenszeit bei dir bleiben wird?«
    »Nein«, antwortete Elisabeth, und es dauerte eine Minute vielleicht, bevor sie ihre Antwort beisammen hatte. »Aber ich habe heute nacht oft gedacht: Wenn ich auch nur ein Jahr so leben könnte, so – oder noch kürzer, ein paar Monate, nur ein paar Wochen – es könnte hinterher geschehen, was wollte. Es wäre mir alles gleich. Ich kann nichts dafür, Kola. Ich habe es mir so gedacht heute

Weitere Kostenlose Bücher