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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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schüttelte an Karbons Händen; plötzlich schrien die Bremsen, und Leore fiel nach vorn.
    »Soll ich?« fragte Fobianke und machte eine unwillkürliche Hilfsbewegung, aber der Wagen stand schon. Karbon grinste nur. »Das ist der Bahnübergang«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die Schmalspurschienen, einen halben Meter vor dem Kühler.
    »Pitt, das ging!« konstatierte Pittjewitt, als im gleichen Augenblick das Lokomotivlein mit anklagendem Bimmeln einer Warnungsglocke, aber in ziemlicher Eile, an ihnen vorüberschnaufte.
    »Ich bin erschrocken«, beklagte sich Franz sanft im Hintergrund.
    »Du bist unser Bester. Ist er nicht unser Bester, Pitt?« sagte Leore und reichte ihre Hand rückwärts, während Karbon wieder losfuhr, mit Vorsicht über die Schienen und dann reichlich verrückt in den Wald hinein, der hinter der Strecke begann. Franz Albert indessen betrachtete nachdenklich die Hand, die sich ihm anbot, aber er fand nicht heraus, was er mit ihr anfangen sollte. Pittjewitt nahm den überflüssigen Gegenstand nach ein paar Sekunden wieder an sich und verwahrte ihn in Pitts warmer Jackentasche.
    »Wenn du mich krabbelst, fahre ich in den Graben«, murmelte Pitt drohend.
    »Ich krabble nicht. Ich mache mir eine Wohnung«, antwortete Leore friedlich.
    Fobianke faltete die Karte zusammen. »Soll ich jetzt nicht mal fahren, Herr Karbon?« fragte er. »Sie haben schon gute dreihundert Kilometer gemacht –«
    »Na – und?«
    »Ich dachte nur, Herr Karbon werden auch mal müde in die Nerven.«
    »Mensch. Müde«, sagte Karbon nur und ging auf neunzig.
    Fobianke machte ein mürrisches Gesicht. Er liebte es nicht, wenn Herr Karbon mit seiner Zähigkeit protzte. Er, Fobianke, wurde müde nach 300 Kilometer ununterbrochener Fahrt. Jemand, der seinen Beruf ernst nahm, wurde müde dabei. Außerdem hatte Herr Karbon auch schon genug, das spürte Fobianke ganz genau. Er spürte es am Gang des Motors, an den allzuscharf geschnittenen Kurven, an irgend etwas, das unaussprechbar die Fahrt begleitete. Seit sie die Dame und den zweiten Herrn im Wagen hatten, war Fobianke bedrückt durch das sonderbare Gefühl, als wären sie auf einer Schwarzfahrt mit Mädchen. Es lag etwas in der Luft zwischen den dreien, das entnahm Fobianke hauptsächlich den Nervositäten des Fahrers. Wenn bei einem Fahrer wie Herrn Karbon die Gänge so kratzten, dann stimmte etwas nicht.
    »Was ist los?« schrie Leore, als schon wieder die Bremsen schrien, der Wagen stoppte und sie nach vorne flog.
    »Kinder! Die Sonne!« brüllte Pitt aufgeregt und zeigte rechts hinab. Hier war der Wald in einem Streifen von etwa acht Meter Breite abgeholzt, die Schneise ging bergab, man sah durch sie hindurch bis zu einem blauen Grund, der vielleicht die Rheinebene war. Der Waldrand brannte goldbraun mit seinem Buchenlaub, der Boden floß wie schmelzendes Kupfer zum Tal hinunter, und jenseits ging die Sonne mit einem Spektakel unter wie sonst nur am Meer. Sie war dunkelrot, hatte regelmäßige, altmodische Strahlen, und da sie durch Nebel sank, war sie zur Ellipse verzerrt von all den blitzenden, lodernden und schwimmenden Lichtbrechungen. Karbon starrte mit offenem Mund hin, er tat ein übriges, schaltete den Rückwärtsgang ein und trieb den Wagen ein paar Meter zurück, um den Blick noch besser zu gewinnen.
    Leore schaute flüchtig in den Glanz und dann aufmerksam nach rückwärts auf Franz Albert, der die Augen aufgemacht hatte. Die Gesichter der Männer waren rot im Sonnenuntergang.
    »Gefällt ihm das?« fragte Leore. »Ja«, antwortete der Boxer. »Sieht schön aus.« Er hatte den Wortschatz und die Ausdrucksweise eines zehnjährigen Buben, und damit mußte er eben auskommen. Aus irgendeinem Grunde wurde Leore wütend und griff zu dem verhaßten Filmjargon. »Es ist schon mal die Sonne untergegangen. Das sind so Menkenkes«, sagte sie. »Ich möchte lieber schon in Baden-Baden sein.«
    Pitt stellte sich taub und wartete eigensinnig, bis die Sonne unten war, was nur ein paar Minuten dauerte, und bis alles Rot plötzlich grünblau und kühl wurde. Dann ging er los mit seinem Wagen, daß Leore den Atem verlor. Sie hielt durch, obwohl es ungemütlich war, und schaute das zusammengerissene Profil ihres Freundes an, wie er über das Lenkrad gebückt saß in seiner Rennfahrerhaltung, die Stirne gegen die schnelle Dämmerung angestemmt. Er hatte etwas Seltenes: einen Mund von nahezu vollendeter Schönheit, wie aus zwei geschwungenen Flügeln zusammengesetzt.

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