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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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hier roch es nach frischgekalktem Anstrich. Der Regen draußen war dicht wie ein japanischer Perlenvorhang und klingelte in kleinsten silbernen Fontänen wieder hoch, wenn er in die Pfützen schlug.
    »Mein Gott –«, sagte Elisabeth erschreckt, denn sie dachte an Kola auf seinem Rad.
    »Hören Sie – noch einen Augenblick – ich muß Ihnen etwas zeigen, Frau Doktor –«, sagte Markus hinter ihr her, und sie blieb stehen, dankbar für die Verzögerung.
    »Nämlich – ich habe nämlich einen großartigen Brief bekommen. Er hat mir geantwortet, jawohl.«
    »Geantwortet? Wer denn?«
    »R – Romain Rolland«, sagte er geheimnisvoll und mit einem starken Anlauf für die alliterierenden Anfangskonsonanten. »Sie wissen doch – ich bat ihn um ein Autogramm. Er hat es geschickt. Ich muß es Ihnen zeigen –«
    »Nicht möglich – Romain Rolland –«, flüsterte sie, ebenso geheimnisvoll werdend. Sehr deutlich spürte sie, wie sie da im dunklen Hausflur von Markus' Laden stand, daß die Ankunft eines solchen Briefes in Lohwinckel eine außerordentliche, eine fast unglaubwürdige Angelegenheit war. Sie stolperte bereitwillig hinter Markus die Treppe hinauf. Die Kirchenuhr schlug sieben langsame Schläge dazwischen und drängte zum Fortgehen.
    Als Markus oben die Tür zum Wohnzimmer öffnete, blieb er erst einen Augenblick stehen. »Verzeih, Mutter«, sagte er etwas ängstlich. Drinnen roch es nach Bohnerwachs und Hefegebäck. Der Tisch war mit einem Damasttischtuch von beinahe silbernem Glanz gedeckt, in zwei silbernen altmodischen Leuchtern brannten Kerzen. Mitten auf dem Tisch lag in einer Schüssel ein weißes Brot, das zu einem dicken Zopf geflochten war, und zwischen Brot und Leuchtern ein aufgeschlagenes Gebetbuch mit hebräischen Lettern. Die alte Frau Markus, in schwarze Seide gekleidet, stand an der Schmalseite des Tisches, bewegte sich murmelnd vor und zurück, wobei sie ihre Hände wie segnend über die Kerzenflammen hielt, so daß sie durchscheinend wurden mit ihrer Greisenblässe und den hohen blauen Adern.
    Dies alles zusammen mutete Elisabeth fremd an, aber dabei sehr festtäglich und behaglich, und sie lächelte unwissend in den Türspalt hinein wie vor einem brennenden Weihnachtsbaum, bis ein schneller und kalter Blick der betenden alten Frau sie traf.
    »Lassen Sie – ich sehe mir den Brief nächstens an – Gute Nacht«, flüsterte sie Markus eingeschüchtert zu, kehrte um und verschwand schnell treppabwärts.
    »Ich habe vergessen, daß Freitagabend ist«, murmelte Markus unsicher hinter ihr her.
    Die alte Frau drinnen, ohne mit Gebet und Segensspruch aufzuhören, wandte ihre wachen, ja mißtrauischen Augen dem Flüstern in der Türspalte zu. Sie rief Markus mit einer Kopfbewegung zu sich heran, er trat näher, drückte einen Kuß auf seine flach ausgestreckten Finger und legte diese an die verrunzelte Wange seiner Mutter. Er hatte ein Gefühl von Heimat und Wurzellosigkeit zugleich dabei, für das ihm der Name fehlte …
    Die Straße, auf die Elisabeth hinaustrat, war völlig leer, obwohl der Regen nur wenige Minuten in voller Stärke angedauert hatte und nun nur mehr mit einem dünnen, gleichmäßigen Rauschen in winzigen Tropfen sprühend herunterkam.
    Drüben im ›Weißen Schwanen‹ waren die Gaststuben schon erleuchtet hinter den verhängten Fenstern, Rauch kroch beim Ventilator heraus und an der Laterne vorbei, und man konnte sogar das Orchestrion hören. Elisabeth, die das Gefühl einer merkwürdigen Stille aus dem jüdischen Haus mitgenommen hatte, bekam Lust, noch einen kurzen Besuch in der Kirche zu machen.
    Wirklich fand sie die Seitentür unterm Kreuzgang noch geöffnet, die Kirche leer, die Kerzen vor der Madonna am Seitenaltar sanft brennend. Ihre Hände waren naß und kalt vom Regen, das Weihwasser im alten Steinbecken erschien ihren Fingerspitzen warm.
    Sie kniete flüchtig in einer Bank nieder, sprach Vaterunser und Englischen Gruß, wobei ihre Gedanken sich selbständig machten und davonspazierten. ›Wenn nur Kola nicht –‹, dachte sie.
    Sie hatte Angst, sie wußte nicht wovor, wünschte, sie wußte nicht was, hatte Sehnsucht, sie wußte nicht wonach.
    Ein Auto kam auf der Straße von Düßwald nach Lohwinckel gefahren, und zwar tat es das keineswegs freiwillig. Es kam von Berlin und wollte nach Baden-Baden. Aber achtundzwanzig Kilometer vor Düßwald war man auf die Tafel mit den drei Punkten gestoßen, die eine Straßensperrung anzeigt, man war dem roten

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