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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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gekommen war. Er dachte flehentlich an seinen Trainer, den riesenhaften Russen Simotzky, an dessen Reden, Beschwörungen und Warnungen; er dachte an alles Unheil, das durch Weiber über Boxer gekommen war, an große Nummern, die in rascher Zeit ›weich geworden waren‹, die ›nichts mehr einstecken konnten, weil sie unsolide gelebt hatten‹. Man erzählte böse Geschichten in den Trainingsquartieren. Er hatte eine wahrhaft heillose Angst davor, dieses kleine Stückchen Weib da unter der Decke könnte sich bewegen und ihn zu Gott weiß was für Dummheiten veranlassen. Aber Pittjewitt bewegte sich nicht.
    Sie lag ganz still unter der Decke, hörte die Tropfen immer dichter darauf niederklopfen, spannte sich zur Unbeweglichkeit an und horchte in den jungen Menschen hinein. Es schien ihr, als wenn seine Kniescheiben ganz zart vibrierten, aber das mochte Irrtum sein. Wenn sie den Atem anhielt, konnte sie sein Herz hören, es ging stark und gleichmäßig. Es machte sie nicht satt, so zu liegen, o nein –
    Indessen hatte Fobianke mit dem Wagen vorsichtig das Sträßlein zwischen den Weinbergen erklettert, dann ging es eine Viertelminute eben hin, und dann endete alles vor einer Mauer, die etwa drei Meter hoch, ohne Eingang und oben dick mit Glasscherben bestreut war.
    Hier handelte es sich um eine demonstrative Abgrenzung zwischen den Grundbesitzen der Herren Profet und von Raitzold, die bekanntlich Todfeinde waren. Da der Berliner Schofför diese wichtige Tatsache des Lohwinckler Lebens nicht wußte, stand er ziemlich ratlos vor dem sinnlosen Ende der elenden Straße. Daß man sich verfahren hatte, war sicher. Herr Karbon nahm dies verbissen zur Kenntnis. Es paßte zu der ganzen Situation. Er kam sich hübsch lächerlich vor, da vorn auf dem Sitz neben dem Schofför und mit den beiden hinten unter ihrer Decke. Nicht einmal fahren konnte er im Augenblick, da er fünf Minuten vorher erst Fobianke auf den Führersitz beordert hatte und nichts zurückziehen wollte. Er war dazu verurteilt, mit den Händen in den Hosentaschen dazusitzen und mit niederträchtigen Gefühlen auf die Stille zu horchen, die hinter ihm im Wagen herrschte.
    Übrigens war das Fahren zunächst auch keine Vergnüglichkeit. Fobianke schluckte verschiedene unfeine Äußerungen hinunter. Wenden konnte man nicht, der Weg war zu schmal, die brennessel- und brombeerheckengefüllten Gräben zu beiden Seiten tief und verdächtig. Man mußte im Rückwärtsgang zurück, zwischen den Weinbergen, und steil hinunter. Der Wagen war jetzt auch aufgeregt geworden, er bebte unterirdisch. Fobianke spürte es in den Ellenbogen. Vorsichtig krebsten sie durch die Dunkelheit zur Station zurück. Von Zeit zu Zeit warf ein Stoß Leore Lania näher an den jungen Boxer heran, sie hatte alle Muskeln gelockert und ließ sich gegen ihn fallen; um so gespannter saß er da, ganz in seine Ecke verkrochen, wachsam und abwehrend. Karbon hätte sich gerne umgedreht und nachgesehen, was da hinten vorging, aber er tat es nicht. Man tut das nicht. Eifersucht war außer Kurs. Immerhin stellte er allerhand Überlegungen an, wie er dieses Pittjewitt blamieren, wie er ihm auf eine scheußliche Weise wehtun und zurückzahlen könne …
    Schließlich erreichten sie den Talgrund, die Station und den Wegweiser, und Fobianke bog links ein, auf die richtige Chaussee nach Lohwinckel, die hier den letzten Teil des Düßwalder Forstes durchschnitt.
    »Wie lange fahren wir denn noch so?« fragte Franz Albert hinten; es klang herzlich verzweifelt. Karbon grinste dazu ein wenig. Er kannte den Burschen genau von gemeinsamen Trainingskämpfen her und hatte ihn gern. ›Franz brät auf glühendem Rost‹, dachte er und ermunterte sich. Der Regen war schwächer geworden, er hatte vielleicht ganz aufgehört, und es tropfte nur mehr rauschend von den Bäumen.
    »Bißchen Gas, Fobianke!« verlangte Karbon. Der Schofför tat ihm den Willen, der Tachometer im kleinen Schein seines Lichtes ging auf achtzig, fünfundachtzig, aber der Wagen schwamm übel hin und her. »Alles Seife –«, murmelte Fobianke und starrte vorwurfsvoll die nasse Straßensubstanz an, auf der sie ihre hin und her schlängelnden Spuren zogen. Leore steckte den Kopf aus ihrer Decke heraus und fragte: »Fahrt ihr Karussell?« Karbon gab keine Antwort, er lachte still vor sich hin. Die schnelle Fahrt preßte die Luft so hart gegen sein Gesicht, als wäre sie ein nasses, eiskaltes Tuch. Karbon fiel etwas ein, und er begann es zu erzählen,

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