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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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Pfeil gefolgt, der die Umleitung auf die Düßwalder Chaussee befahl, man hatte sich durch das schläfrige Düßwald durchgeholpert und war nun im Begriff, sich dem noch schläfrigeren Lohwinckel zu nähern.
    In dem Auto, einem langen, niedrig auf der Straße liegenden und starken hellgrauen offenen Wagen, saßen vier Personen. Am Steuer Peter Karbon, zur Hälfte gespannt, zur Hälfte ermüdet, mit dem farblos hellen Staub der Chausseen in Wimpern und Brauen. Auch das rote Haar, mit zwei tiefen Ecken aus der Stirne gestrichen, war hell überpudert und flog im Gegenwind der scharfen Fahrt. Übrigens trugen der Besitzer und die Reifen des Wagens den gleichen Namen. ›Karbons Reifen sind die besten‹, war eine geläufige Reklame, die auf hellroten Plakatwänden an allen Bahndämmen, Straßenkreuzungen und Wegtafeln vorüberflurrte, und Karbons Gummifabriken waren einer der Grundbegriffe in der deutschen Großindustrie. Dieser Peter Karbon, unbestimmten Alters, jedoch sicher mehr als vierzig Jahre, in seinem staubfarbenen Overall aus Wildleder machte einen kraftvollen Eindruck, dies zu allererst, und außerdem sah er merkwürdig nackt aus. Tiere auf der Weide schauen manchmal so aus, Hunde ohne Halsband, ungezäumte Pferde. Bei Peter kam es davon, daß sein Hals ohne Kragen, gerade und indianerrot aus dem Overall hervorkam und daß er die Ärmel an ihren Gummizügen bis an den Ellenbogen zurückgeschoben und die Arme freigemacht hatte, obwohl es kühl war. Neben ihm saß Leore Lania, die Schauspielerin, klein, zart, todmüde – so müde, daß sie in jedem Augenblick noch etwas kleiner wurde. Sie trug einen Anzug, der ein Kind von Peters Overall zu sein schien, dazu eine orangefarbene, gehäkelte Seidenmütze, die eng wie ein Futteral am Kopf klebte, und eine Staubbrille, die das tägliche Zankobjekt zwischen ihr und Peter war. Peter hielt Brillentragen murrend für Pimpelei und Verwöhntheit. Es verdroß ihn, daß Leore nur Ausschnitte der Landschaft sah und diese nur in verdunkelten und verwässerten Farben. Er selber war, wie Leore es nannte, ein Überfresser; er schluckte mit jedem Atemzug in sich hinein, soviel er kriegen konnte: Leben, Welt, Frauen, Dinge, Tiere, Töne, Farben, Kämpfe, Niederlagen – ja sogar aus Niederlagen und Schmerzen gewann er eine Art von durchdringendem Genuß – und Erfolge. Soweit Peter Karbon. Daß Leore die Brille trug, verübelte er ihr tief, auch weil er ihr Gesicht sehen wollte, auch weil sie überall braun von der Luft wurde und nur um die Augen zwei maskenhaft helle Kreise behielt, soweit die Brille ihre dünne Haut zudeckte.
    »Sehe ich scheußlich aus?« fragte Leore jede Stunde; und Peter erwiderte ohne weiteres: »Absolut scheußlich, Pittjewitt.« Wobei zu sagen wäre, daß Leore zu den schönsten Frauen der Welt gezählt wurde dank ihrer Vogelzierlichkeit, ihrem halbblütigen Reiz, ihrem Farbenklang aus tiefem, glänzendem Schwarz und goldenüberreifter Blässe. Seit Peter Lerores erklärter Freund war, also seit genau achtzehn Wochen und vier Tagen, trug er den Namen Pitt, und sie hieß Pittjewitt, so oft er sie ärgern wollte.
    Sie hatte schon allerhand Kosenamen getragen mit ihren vierundzwanzig Jahren: Bibi, wie die Negerfrauen, wegen ihrer kleinen, breit genüsterten Tiernase. Katerchen, wegen absoluter Unzähmbarkeit und Untreue. Lala, wie ein Baby, weil sie zuweilen in sich selber hinein- und zurückkroch, bis sie nur mehr vier Jahre alt war, mit Weinen, Lachen und Spielen dicht nebeneinander, Rack – was das englische Wort für ein Folterwerkzeug ist und sich selber erklärt. Sie zog die Namen an und aus wie die Kleider und wie ihre Rollen. Ganz auf den Grund kam man ihr nicht. Wahrscheinlich war ganz auf dem Grund eine tiefe und zarte Schwäche, überdeckt von einem zornigen Ehrgeiz. Die Brille zum Beispiel trug Leore, weil ihr das Jupiterlicht der Filmateliers die Augen verdorben hatte, sie litt ziemlich arge Schmerzen und Beschwerden, häufig brannten und tränten die entzündeten Bindehäute so sehr, daß sie nicht schlafen konnte; das ständige Einträufeln von Höllenstein gehörte zu den Ängsten ihrer privaten Existenz. Aber kein Gedanke daran, daß diese Leore Lania, dieses Pittjewitt, Derartiges je verlautbart oder zugegeben hätte. Jedes Jahr brach sie einmal nieder wie ein Pferd in den Sielen, mitten in einer Aufnahme, mit einer todgefährlichen Krankheit, von der bis dahin niemand etwas geahnt hatte. Dazwischen arbeitete sie im Durchschnitt

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