Zwischenfall in Lohwinckel
ganz für sich allein und ohne darauf zu achten, ob ihm zugehört wurde.
»Das erinnert mich an eine Geschichte in Durban –«, sagte er, »Durban, Südafrika, in Natal. Dort soll es immer warm sein, denkt man, schöner Platz, schöner Strand, Klub, Sport, alles. Voriges Jahr im September, wie ich dort war, nahm ich ein Taxi, komisches Vehikel, hinten hoch, und das wurde nicht von einem Schwarzen gefahren, sondern –«
Plötzlich geschah etwas. Der Wagen riß sich selber zur Seite, mit ungeheurer Kraft. Die nächste Sekunde war endlos lang. »Verdammtes Biest –« schrie Fobianke noch. Karbon griff noch nach dem Lenkrad, um etwas aufzuhalten. Er sah den Kühler riesengroß und schwarz gegen einen Baumstamm fahren, der so hell beleuchtet war, daß er weiß aussah. Unendlich langsam geschah dies, so schien es Karbon. Auch Fobianke sah die Rinde ganz deutlich, es war ein Eichenbaum, es war die tiefgerunzelte, regennasse Rinde eines Eichenbaumes. Der Aufschrei im Wagen rückwärts und der Stoß geschahen gleichzeitig.
Dann wurde es ganz still, nur der Regen rauschte tropfend von den Wipfeln.
Der erste Mensch, der das Unglück entdeckte, war der Junge vom Gut, der abends die leeren Milchkannen von der Station holte. Er erschreckte sich unbändig, aber er benahm sich recht vernünftig. Er trieb das alte Pferd so heftig an, daß er schon in zwölf Minuten auf dem Gut war, ging direkt zu Herrn von Raitzold, ohne sich aufzuhalten, und meldete den Vorfall. Viel Klarheit herrschte nicht in seinem Bericht, er hatte vor Angst kaum richtig hingesehen, das umgestürzte Auto lag ohne Lichter, die kleine Laterne am Gutswagen vermochte nicht viel. Ob Menschen verunglückt wären, fragte Herr von Raitzold ungeduldig. Ja, sicher, da wären so Beine rausgekommen unter dem Wagen, Beine in Hosen –
Ob die Menschen tot gewesen seien?
»Sicher«, sagte der Junge und nickte nachdrücklich. »Ganz sicher.«
Tot also – woran er das erkannt hätte?
»Es war so still da, so still«, sagte der Junge, er kam von diesem Eindruck nicht los. »So still war es da, nichts hat man gehört als den Regen, ganz still war es gewesen.«
»Gleich anspannen lassen«, sagte Herr von Raitzold und ging ins Wohnzimmer hinüber zu seiner Schwester. Es gab nur zwei Pferde auf dem Gut, und es gab nur einen Wagen, der in Betracht kam, er konnte sich ausführliche Kommandos ersparen.
Fräulein von Raitzold stand vor dem hohen Pult neben dem Gewehrschrank und rechnete.
Sie war eine alt aussehende Dame von zweiundvierzig Jahren, sie hatte eine große, unternehmende Nase, eine tiefe Stimme, die den unbestimmten Eindruck von Größe und Leidenschaftlichkeit erweckte, sie war von Geburt an geschlagen mit dem Namen Hiazynthia, und unter ihrem Lodenrock kamen die Röhrenstiefel hervor, von denen man in Lohwinckel häufig sprach. Auf dem kleinen eingelegten Rosenholztischchen in der tiefen Fensternische lagen die dicken grünen Bücher der Gutsverwaltung. Von den drei elektrischen Birnen in der Krone waren zwei ausgedreht. Der Raum war groß, uralter Zigarrenrauch klebte darin fest, und ein paar edle alte Möbelstücke zwischen den ungepflegten Wänden und Gebrauchsgegenständen standen da wie Wegweiser zum Niedergang.
Herr von Raitzold berichtete kurz von dem Unglück auf der Düßwalder Chaussee, während er schon den Hausrock mit der Lodenjoppe vertauschte. Das Fräulein schob mit einer Bewegung die unerfreulichen und verwickelten Steuerpapiere beiseite, mit denen sie beschäftigt gewesen war, und ging ans Telefon. »Der Doktor wollte von hier aus zu Prüfet. Ich klingle dort an«, sagte sie. Im gleichen Augenblick wurde Herr von Raitzold blau in den Nasenwinkeln und im Geäder der kahlen Stirn. »Bitte, laß das! Aus meinem Hause telefoniert man nicht mit diesen Leuten«, äußerte er kurz. Die Schwester sah ihn an, eher nachdenklich als unwillig. Es ging so schlecht auf dem Gut, man mußte es verstehen, daß diese Feindschaft auf einen unerträglichen Punkt gekommen war. »Ich dachte, wenn es um Menschen geht –«, sagte sie noch versuchsweise.
»Ta – Menschen. Die Kerls fahren wie die Irren, dann passiert eben etwas. Menschen! Ich habe schon anspannen lassen. Versuche du, den Doktor durch seine Frau zu erreichen, das genügt. Ich kümmere mich um die Chose«, sagte er noch, zog einen Schub im Gewehrschrank auf, steckte mit einer mechanischen Bewegung den Revolver in seine rückwärtige Tasche und verließ das Zimmer.
Fräulein von Raitzold,
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