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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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natürlich, ich mußte ja mitten in den Dschungel hinein, höchst unzuträgliche Sache für Europäer. Da pflegte mich eine kleine Frau von zwölf Jahren, zwei Kinder hatte sie, eine bezaubernde Frau war es.«
    Dieser Bericht konsternierte Frau Persenthein so sehr, daß sie in der Türöffnung starr stehenblieb. Nun lag also in ihrem alten Nußbaumbett mit den Kugelknöpfen ein Herr, der ohne weiteres von Indien erzählte. Sie rückte zaghaft dem Bett wieder näher, überlegte einiges und faßte es sodann zu einer Anfrage zusammen:
    »Stammt Fräulein Lania vielleicht aus Indien?«
    »Die Lania? Wieso? Keine Spur. Wie kommen Sie darauf?«
    »Ach – ich weiß nicht. Sie sieht so aus – so exotisch.«
    »Exotisch – na ja, möglich. Das tut sie ja wohl, das gehört zum Geschäft. Nee – wo die herstammt, das weiß sie selber nicht.« Er begann in sich hinein zu lachen, während die Marienkäferschürze sich über sein Bett hermachte. »Das ist überhaupt das Amüsante an der Lania, ihre absolute Verlogenheit und Unzuverlässigkeit. Alles Sumpf, nichts trägt. Mal ist sie die Tochter eines Generals, Garnison in Görz, evakuiert im Krieg, Mutter Herzschlag auf der Flucht, sie einsam in der Großstadt. Mal hat sie zwölf Geschwister gehabt, die Eltern waren Bauern, Sonnenblumen vor den Fenstern und so was. Mal unehelich geboren, harte Jugend, durchgebranntes Fürsorgekind. Mal adoptiert von einem sagenhaften Onkel Bankdirektor, und so weiter. Eine großartige Person, dieses kleine Pittjewitt. Wie geht es ihr überhaupt?« fragte er ganz zuletzt und nur anstandshalber. Seit gestern ging es ihm merkwürdig. Er erinnerte sich an hundert lang verflossene Kleinigkeiten, aber das Nahe rückte von ihm ab, ging von ihm fort und war ohne Bedeutung. ›Ich muß tüchtig was über den Schädel gekriegt haben‹, dachte er. ›Oder bin ich noch mit Veronal angefüllt? Herrlich schnurz ist mir alles.‹ Er streckte seine beiden Arme parallel vor sich hin, wie Säuglinge es tun, die noch keine Herrschaft über ihre Glieder haben.
    »Nun?« fragte Elisabeth.
    »Ach – nur so komisch – ich kann keine Distanz abschätzen. Ich weiß nicht, ob Sie ganz weit weg sind oder ob ich Sie anfassen kann.«
    »Sie können mich anfassen –«, sagte sie lächelnd und legte seine Hände auf ihre Schultern. Es war etwas an dieser Bewegung, das ihm gefiel. Sie zog auch gleich die Schultern unter seinen warmen Handmuscheln fort, aber er spürte sie noch eine halbe Stunde nachher.
    »Ist sie verheiratet?« fragte Elisabeth. »Man hat gestern niemanden mehr von ihrem Unfall verständigen können. Die Post schließt um neun.«
    »Wer?« fragte Karbon, der die Lania sofort wieder vergessen hatte. »Die Lania? Ja, verheiratet ist sie wohl auch –«
    »Ist der andere Herr ihr Mann?« fragte Elisabeth, die in die verwickelten Beziehungen dieser Berliner etwas Ordnung bringen wollte. Ohnedies hatte man den toten Schofför bisher verheimlicht, aber diese Leute hatten eine merkwürdige Art, ihren eigenen Unfall über die Achsel anzusehen, als wenn es nichts wäre. Während sie selber, Frau Elisabeth Persenthein, gestern nacht mit zitternden Knien eingeschlafen und heute mit zitternden Knien aufgewacht war; während der Doktor wie eine Rakete in der Gegend herumschoß, neu aufgefüllt, neu angezündet, neu hochgetrieben von der großen Sache; während sogar Lungaus hysterisch in der Stadt umherzog, wie ein Wanderredner verkündend, und Rehle im Verschlag mit zwei Stühlen Autounglück spielte, bei dem viele Puppen verunglückten.
    »Der Kleine – ihr Mann? Keine Spur«, bekundete Peter Karbon und schaute Elisabeth zu, die mit Kehrblech und Besen im Zimmer hantierte. ›Was für ein hochbeiniges Geschöpf‹, dachte er dazu; ›wie gute Rasse sich in solchen Nestern erhält. Die Knie ganz hoch angesetzt und die Hüften so lang wie auf den Wunschträumen der Plakatzeichner.‹ »Die Lania ist meine Freundin«, erklärte er dabei.
    Elisabeth hörte auf zu kehren, richtete sich hoch, bückte sich aber schnell wieder und nahm ihr Gesicht in den Schatten ihrer Arme. Sie war dunkelrot geworden und tödlich verlegen. ›Herrgott noch mal – was ist denn los?‹ dachte Karbon verständnislos. Aber Frau Persenthein war dieser Auskunft, die ihr unbegreiflich schamlos und unmöglich aussprechbar erschien, einfach nicht gewachsen. »Ach –«, sagte sie nur noch, es war ein kleiner, hilfloser Pips, und dann ergriff sie die Flucht.
    In der Diele ist indessen

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