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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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befallen, ein Unterkommen in Frau Persentheins Bett fand. Mit drehendem Gehirn starrte er noch die unbändige Fremdheit der Holzmaserung im Deckengebälk an, spürte das Fußende des Bettes schräg unter sich wegsinken, spürte tief dankbar, wie ihm heiße und süße Milch eingelöffelt wurde, die mit ihrem Kindheitsgeschmack ihm den trockenen Gaumen netzte und den Schüttelfrost auflöste; er sah noch eine lange, ruhige Hand über sein Herz gleiten, und dann sank er schwarz in einen tiefen Veronalschlaf hinab.
    Doktor Persenthein, der sich mit Kolapastillen und Koffein und einem strychninhaltigen Tonikum bisher in Form gehalten hatte und nun seine Nerven zerplatzen fühlte, nahm gleichfalls ein Veronal und legte sich auf die Wachstuchchaiselongue im Ordinationszimmer schlafen.
    Frau Persenthein irrte noch ein wenig im Haus herum mit einem durch und durch traumhaften und nachtwandlerischen Gefühl, bis sie schließlich den alten Lehnstuhl aus dem Wohnzimmer holte, ihn in die geöffnete Tür zwischen dem Schlafzimmer und Rehles Kammer stellte und so, aufrecht sitzend, zur Ruhe kam.
    Sie schlief so dünn, daß sie nicht aufhörte, das Atmen aus beiden Zimmern zu hören, Rehles flachen, kürzeren Kinderatem mit den kleinen Traumseufzern dazwischen und die langen, ungleichmäßigen Luftzüge des Patienten, der in ihrem eigenen Bett lag. Ein paarmal während der Nacht stand sie auf und sah nach ihm. Sie hatte das Nachtlicht brennen lassen, die kleine Flamme schwamm auf dem gelben Öl, ein verlorenes Inselchen aus Licht in der sonderbaren, tief fremden Nacht. Einmal stand Elisabeth lange und schlaftrunken über den Mann gebeugt und besah ihn.aufmerksam, er sah so angestrengt aus, während er schlief, mit Stirnfalten unter dem brennroten Haar, das sich geteilt hatte und breit über die Schläfen fiel. Einmal richtete sie ihm die Decke, die er unruhig abgestreift hatte, und einmal streichelte sie ganz vorsichtig seinen blauverfärbten, etwas geschwollenen Arm, denn er schien Schmerzen zu haben. Hinter Veronalnebeln murmelte er etwas dazu, griff mit der heilen Hand nach der ihren und zog sie zwischen seine Wange und das Kissen. Das Nachtlichtchen war indessen blau geworden und verloschen. Elisabeth lächelte mit einem horchenden Ausdruck zu dieser unbewußten und zutraulichen Bewegung, sie ließ ihre Hand in der Wärme, bis sie lahm geworden war, dann zog sie sie vorsichtig hervor und schlich zurück zu ihrem Lehnstuhl. Sie schlief noch einmal ein, während draußen schon die Dämmerung hochkam, und diesmal träumte sie ihren alten Kindertraum: Sie trug einen Korb, der voll mit Orangen, aber ganz leicht war – Orangen hießen die goldenen Traumfrüchte und hatten keine Verwandtschaft mit den Apfelsinen aus Markus' Laden –, und ging geradeswegs in die Landschaft hinein, die zu Hause über ihrem Bett gehangen hatte und den Golf von Neapel darstellte. Daß Herr Markus die Brahms-Sonate in A-dur dazu spielte, störte ein wenig die schwebende Traumleichtigkeit, und schließlich begann auch die Kirchenglocke zu schlagen, alles wurde schwer, Elisabeth erwachte und begann den Samstagmorgen.
    Kola aufwecken, Lungaus aufwecken, Feuer anmachen, Frühstück kochen, Kaffee für Kola, Hafersuppe für Lungaus, Apfelmus für das Rehle. Das Aushilfsmädchen Marie war unpünktlich, und Frau Persenthein zitterte schon ganz schwach vor Abgehetztheit, als sie endlich dazu kam, nach dem Gast zu sehen, der aufgewacht und auch schon vom Doktor untersucht worden war.
    Der Mann, der da in ihrem Bett aufrecht saß, war ein anderer als der Mann, den sie nachts gestreichelt hatte. Fremd, noch viel fremder als jener und ein wenig beängstigend.
    »Komische Sache, die ich da anhabe«, sagte Peter Karbon, ihr entgegenblickend, er konnte Hand und Arm schon ein wenig bewegen, wenn es auch noch schmerzte, und er hatte längere Zeit verwundert das blaue Börtchen an seiner weißen Manschette betrachtet, das eine Art von idealisiertem Miniatur-Efeu darstellte.
    »Ich habe Ihnen heute nacht ein Nachthemd von meinem Mann angezogen«, antwortete Elisabeth verschüchtert.
    »Ach so«, sagte Peter, warf einen instinktiven Blick auf das leere Bett daneben und schwieg beinahe verlegen. Er fand es peinlich, sich in einem Nachthemd mit blauen Börtchen zu präsentieren; Elisabeth ihrerseits, die von seidenen Pyjamas nur in Büchern gelesen hatte, wußte nicht, was los war. Sie hielt das Frühstückstablett auf Karbons Knien in Balance und bewachte sein Essen. Sie

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