Zwischenfall in Lohwinckel
ihre Hände vom Tisch fort. Sie mißfielen ihr so sehr, sie hatte im ganzen ein so miserables Gefühl von Häßlichkeit und Benachteiligtsein; sie steckte die Hände mit den Nägeln voll Gartenerde schnell in ihre Jackettaschen, sagte »Na«, und machte sich auf den Weg. »Bleiben Sie doch ein bißchen bei mir!« rief Leore, erwischte gerade noch einen Arm des Fräuleins und legte mit einer Bettelbewegung ihre Schläfe daran. Ihre kleinen Liebkosungen hatten Berühmtheit erlangt bis nach Amerika –
»Leider – keine Zeit –«, murmelte das Fräulein belegt, ließ sich aber noch einen Augenblick festhalten.
»Ich weiß. Ich bin Ihnen so im Wege. Sie werden froh sein, wenn Sie mich los sind.«
»Aber nein. Das – gar nicht. Im Gegenteil –«, sagte das Fräulein erschrocken. »Nein«, sagte sie und setzte sich nun doch im Amazonensitz auf das Geländer der Veranda. »Sie sind – ich glaube, es ist ein Segen, daß Sie da sind. Ich weiß nicht, wie wir ohne Ihren Besuch über diese Woche gekommen wären. Auch mein Bruder –«
»Ich habe ihn husten gehört, die ganze Nacht, und herumgehen.«
›Du hast also doch nicht geschlafen‹, dachte das Fräulein und empfand eine wunderliche Freude daran, die Lania bei einer Lüge zu erwischen. »Mein Bruder wäre mir zusammengeknackst ohne Sie. So hält er sich. Er hält Disziplin Ihretwegen. Gott sei Dank.«
»Sie halten viel von Disziplin?«
»O ja«, sagte das Fräulein ausatmend. »O ja. Wie sollte man sonst leben –?«
Leore Lania zog Honigfäden mit ihrem Löffel und ließ die Sonne hindurchscheinen. »Sie sind so gut zu mir«, sagte sie plötzlich und griff spontan zu dem Fräulein hinüber. Aber das Fräulein war damit beschäftigt, eine kleine Pfeife in Brand zu kriegen. Die Lania zog die Augen ein wenig zusammen, sie hatte immer und ewig Neugier auf Menschen, Lust, mit ihnen zu experimentieren. Wie allein sie alle waren hinter ihren sauber geputzten Fassaden –
»Ich habe es oft beobachtet, daß maskuline Frauen so besonders gut sind«, sagte sie, ohne hinzusehen. Das Fräulein zog an der Pfeife, warf einen raschen Blick hinüber, sagte nichts.
»Ich habe viel für diesen Typus übrig«, setzte die Lania das Gespräch fort, in Form eines beiläufigen Monologs. »Die Freundin, mit der ich zusammen wohne, ist Ihnen sehr ähnlich. Architektin. Merkwürdiger Mensch. Bevor ich sie kennenlernte, war sie drei Jahre mit einem jungen Mädchen zusammen, Malerin, wunderschöne Person. Wie meine Freundin sich von ihr trennte, hat sie sich erschossen. Knall, bums, mitten ins Gesicht, es muß eine grausame Geschichte gewesen sein. Seitdem hat meine Freundin einen kleinen Knacks weg. Man möchte manchmal denken, daß wirkliche Leidenschaften, so das, was man früher mal ›große Liebe‹ nannte, heutzutage nur mehr bei solchen außenseitigen Geschichten vorkommen.«
Die Lania aß ihr Honigbrot. Das Fräulein schaute in den Hof hinunter, während sie zuhörte. Das stäubte auf wie Federn und hatte gar kein Gewicht …
»Ich habe auch schon gehört, daß es so etwas geben soll«, sagte sie schließlich, wollte auch so leicht scheinen, aber ihre Stimme schleppte Ketten mit.
»Geben soll – na, und ob es das geben soll. Ich könnte Ihnen davon erzählen, denn, wissen Sie, ich habe Glück bei Frauen. Auf mich fliegen sie – man kann da allerhand erleben. Ich mag es übrigens ganz gerne. Ich gehe ganz gerne mit in ihre Klubs – ich mache bloß die Mode nicht mit.«
›Klubs‹ – dachte das Fräulein. ›Mode‹, dachte es. Da saß diese Lania, diese vogelhafte kleine Person und zwitscherte ein Schicksal weg, dieses ungeheuerlich vereinsamte, bodenlos einzelne und tief vergrabene Anderssein.
»Sie sagen: maskuline Frau«, sagte sie eine Weile später mit einem trockenen, kleinen Lächeln. »Das klingt ganz hübsch und einfach. Hier in der Gegend nennt man das: die verrückte Schraube, die verdrehte alte Jungfer. Haben Sie Schmerzen?« fragte sie noch schnell, denn Leore schob mit einer resignierten Bewegung das Frühstück beiseite und hatte ein flüchtiges Zucken im Gesicht, rund um die Wunde unter dem Gazestreifen.
»O nein«, sagte die Lania eigensinnig. Sie tupfte mit den Fingerspitzen auf ihre Augendeckel, die ihr geschwollen vorkamen, es war die typische Bewegung der Leute, die zu viel Schlafmittel nehmen und an schlechtem Gewissen leiden.
»Ich war einmal verlobt«, sagte das Fräulein und wartete dann. Leore wartete auch. Sie hatte eine
Weitere Kostenlose Bücher