Zwischenfall in Lohwinckel
besondere Technik des Vorbeisehens an Menschen, die Geständnisse machen wollten. »Ich war verlobt«, sagte das Fräulein leiser; »mit einem jungen Mann hier aus der Gegend, sein Vater hatte die größten Weingüter in Rheinhessen damals. Es wurde nichts daraus. Ich hatte – ich konnte mich nicht entschließen. So eine Art Angst. So etwas wie Erschrecken – ich konnte nicht. Na. Dann sitzt man so herum, man wird ein altes Arbeitspferd. Ja.«
Pause.
Das Fräulein grub noch ein wenig in sich herum. ›Ich habe als Siebzehnjährige eine Ohrfeige von einem Bauernmädchen bekommen; ich verstand damals gar nicht, warum. Erst viel später‹, dachte sie; sie glaubte es auch auszusprechen, aber es ging dann doch nicht, obwohl sprechen alles leichter machte – sie erfuhr es zum erstenmal. »Später versteht man manches«, sagte sie nur. Die Lania kam mit ihrer zärtlichen Wange zu ihrer Hand, die jetzt entspannt herunterhing, und schmiegte sich hinein. Das Fräulein griff in Leores Haare wie in ein Hundefell, sie war Wärme nur von Tieren gewöhnt. »Die Leute laufen alle herum mit einem so selbstverständlichen Anteil am Leben oder am Glück oder wie sie das nennen wollen«, sagte das Fräulein. »Jeder Kuhjunge kommt irgend einmal zu seinem Teil. Ich –? Ich bin vielleicht ein bißchen zu kurz gekommen, glaube ich«, sagte sie noch und stand vom Geländer auf. Die Lania drehte mit einer raschen Wendung ihr Gesicht in der Hand des Fräuleins und drückte einen Kuß in dessen Handfläche. Der Gazestreifen scheuerte zart die feste Haut, die nach Tabak und Erde roch. Das Fräulein blieb einen Augenblick in schlaffer Haltung stehen, als höre sie entfernte Musik. »Klubs – Sie sagen, daß es Klubs gibt. Sind denn die Frauen in diesen Klubs glücklich?« fragte sie. Die Lania zuckte die Achseln.
»Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Das ist kein Problem für mich.«
»Vielleicht ist das kein Problem – dort – wo Sie leben. Hier ist es ein Problem«, sagte das Fräulein, stand noch einen Augenblick so, dann errötete sie plötzlich tief, was sich auf ihrer braunen, wetterharten Haut sonderbar genug ausnahm. »Entschuldigen Sie diesen burst-out«, sagte sie noch und verzog sich hastig. Die Lania lächelte hinter ihr her, mit einem klopfenden, brennenden Schmerz in der gespannten Wunde.
Kurz nach zehn knallte Doktor Persentheins Motorrad mit offenem Auspuff in den Gutshof, mit dem abgejagten Doktor, der das Beileidsgesicht aus der Prielerstraße 34 noch nicht ganz abgelegt hatte. Er kam, um die Fäden aus der Wunde zu nehmen, die Lania hatte schon seit einer Stunde Energie in sich gesammelt für den unangenehmen Augenblick.
Die Lania haßte den Doktor, weil sie sich ihm ausgeliefert fühlte, und dem Doktor war die Lania unsympathisch – hauptsächlich deshalb, weil eine kleine Stelle zu eitern begonnen hatte und er Angst vor einer schlechten Narbenbildung hatte. So oft er das Gesicht der Schauspielerin unter die Finger bekam, schienen ihm seine Hände schwer, ungeschickt, verdorben durch die Werkelei der Landpraxis. Sie wiederum begab sich jedesmal in den Jodoformgeruch dieser Doktorenfinger wie zu einer Hinrichtung. Sie konnte sonst stundenlang zwischen drei gegeneinandergestellten Spiegeln mit sich spielen. Jetzt aber hatte sie Angst vor dem Spiegel, eine unterirdische, herzabschnürende Angst.
»Hat's weh getan?« fragte der Doktor, als die Prozedur vorüber war. »Ziemlich«, antwortete sie, und zwar aus dem einzigen Grund, um ihn zu ärgern. Sie hatte gar nichts gespürt. Der Doktor betrachtete sie mit dem verbohrten und gegenständlichen Blick, mit dem ein Handwerker seine Arbeit ansieht, ein Tischler einen Stuhl, ein Schuster einen Stiefel. »Sieht nicht schlecht aus«, fand er. »Wollen Sie sich's ansehen?«
»Nein«, sagte die Lania heftig. Sie suchte mit der Zungenspitze ihren Lippenrand ab, fand einen rauhen Schorf und setzte sich still in einen dunkleren Winkel des Zimmers. Persenthein empfahl sich mürrisch, um seine Tour durch das aufgestörte Obanger anzutreten. Ihm fehlte das Rehle auf dem Soziussitz, er war verstimmt, weil das Kind ihm in den letzten Tagen entzogen zu sein schien. »Mit diesem Durcheinander muß Schluß gemacht werden«, verhieß er sich; zwei von seinen Leuten hatten Rückfälle erlitten trotz umgestellter Disposition, von dem exzessiven Lungaus nicht zu reden. ›Du hast Nerven, Kola‹, sagte Elisabeth sanft. Schön, er hatte Nerven. Er fuhr die Düßwalder
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