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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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Markus bei ihr eingeführt hatte, war sie sogleich zu dem Bild eines bärtigen Patriarchen, einer Art Shylock gelangt. Was aber neben ihr saß, war ein kleiner, junger Mensch, hölzern und etwas zu gepolstert, mit kleinen Schweißtropfen auf der Stirn, die wegzuwischen er zu delikat war, mit einem Rand von Straßenstaub an seinen Hosenbeinen und in einem zu eng gewordenen Nachmittagsjackett nach der Mode von vor drei Jahren. Daß er dem Augenblick besondere Feierlichkeit beimaß, war klar zu sehen. Die ersten fünf Minuten stammelte er im Kampf mit allen Konsonanten so viel törichte und unvollendete Sätze, daß sie ihre ganze liebenswürdige Gewandtheit brauchte, um ihn in Gang zu halten.
    Mit Herrn Markus seinerseits war es so: Als intellektueller Mensch hielt er nicht viel vom Film, er war nicht weit davon, ihn zu verachten. Trotzdem ging er fleißig ins Kino, und ein paar Gebärden der Lania hatten sich in seiner Erinnerung festgehakt als etwas besonders Zärtliches, Süß-Aromatisches. Außerdem verkörperte sich in ihrer kleinen Person für den Augenblick das ganze Draußen, die große Welt, nach der er sich so miserabel sehnte. Kam dazu, daß sie Trainingshosen trug. Markus war in seinem Leben noch nicht neben einer Dame in Trainingshosen gesessen; es lähmte sein Benehmen, dem er sonst Gewandtheit und Weitläufigkeit zutrauen zu dürfen glaubte. Außerdem fand er sie in Wirklichkeit viel schöner als auf den Filmen mit den geklebten, gekohlten Augenwimpern. Daß sie, die er nur von der Fläche her kannte, außerordentlich echt und wirklich war, ein dreidimensionaler Körper, der schwach nach Stall roch, verwirrte ihn besonders. Er redete sinnlos darauf los, voll Herzensangst, daß sie aufstehen und weg sein könne, der bedeutende Augenblick vorbei und erledigt. Er saß da wie auf der Insel Salas y Gómez, Signale gebend, und das Schiff fuhr vorbei, fuhr vorbei, nahm ihn nicht mit …
    »Ich sitze da in Lohwinckel wie auf der Insel Salas y Gómez – Sie erinnern sich?« – sagte er schon zum drittenmal. Die Lania, deren zickzackhafter Bildungsgang das Gedicht von Chamisso nie gestreift hatte, wußte gar nicht, wovon die Rede war. ›Mensch, sei nicht so aufgeregt‹, dachte sie ungeduldig.
    »Hören Sie, Herr Markus«, verlangte sie plötzlich und ohne Übergang, denn ihre Geduld war aufgebraucht. »Sie sollen mich anschauen, ganz genau. Wie finden Sie es?« Sie hielt ihm ihr Gesicht hin und spürte in der Wunde den Pulsschlag schneller und heftiger klopfen. Herr Markus schaute hin. Erst jetzt bemerkte die Lania, daß dieser kleine Provinzler Menschenaugen hatte, traurige, kluge. »Ist es schlimm?« fragte sie einen Atemzug später und wartete.
    Um das Gesicht der Lania war es so bestellt: Nach den Novokainspritzen der örtlichen Betäubung war es drei Tage lang gedunsen und verschwollen gewesen, verschoben und fremd. Seit Dienstag lockerte sich erst alles wieder, und an diesem Mittwoch hatten Augenbrauen, Nase und Wangen wieder einigermaßen Form und Proportion wiedergefunden. Nur der Mund war sehr rot und zeigte einen seltsam gelähmten Ausdruck. Die Oberlippe war ein wenig abwärtsgezogen, und das gab einen Ausdruck von angespanntem Kummer. Von der Lippe zur Nase und noch ein paar Millimeter neben dem Nasenflügel hin lief die Narbe, eingebettet in rot entzündetes Fleisch und zart und unaufhörlich brennend. Eine kleine Stelle neben der Nasenwurzel eiterte schwach und war mit einem kleinen Schutzpflaster bedeckt. Dem Lippenrand zu hatte Doktor Persenthein die Narbe freigelegt, die von dünnem Schorf überkrustet war. Die ganze Oberlippe, noch leicht geschwollen, ragte über die Unterlippe hinaus, was der Lania einen Ausdruck kindlicher Gekränktheit verlieh, einen Zug, den sie ganz gewiß nicht in ihrem bittersüßen Gesicht zu haben wünschte.
    Markus vertiefte sich mit Ernst in dies alles, notierte es auch in sich und fand es nicht schlimm. Was ihn bewegte, war vielmehr die nackte Angst, die Leore Lania in die Augen bekommen hatte. Seine verdammte Eigenschaft war es, sensibel zu sein, dünnhäutig, daß er alles mitspüren mußte, was andere spürten. So sehr, daß er selber Angst bekam, während er die Angst der Schauspielerin sah.
    »Es ist nicht der Rede wert«, sagte er unsicher. Nachher zog er ein bißchen an seinen Fingergelenken, um die stumme Pause auszufüllen, die hierauf folgte. Er strengte sein psychologisches Gefühl an und fand noch etwas Tröstliches. »Ich werde in die Zeitung

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