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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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scheußlich –«
    »Scheußlich warst du immer. Das stört mich nicht. Ich komme also nachmittag aufs Gut. Du kannst mich doch nicht so völlig abhängen! Pittjewitt!«
    »Also dann – bitte!« sagte die Lania mit einem trockenen und entschlossenen Ton. An der Wand hing ein Empirespiegel, quadratisch zusammengesetzte Platten von grünlichem altem Glas. Die Lania sah ihr krankes Gesicht geisterhaft darin verschweben, als sie das Zimmer verließ.
    Kurz nach zwölf Uhr, zur korrekten Besuchszeit, erschien dann Herr Markus auf dem Gut. Er kam mit dem Rad, das er im Gutshof an die Mauer lehnte, um zwei Metallklammern abzunehmen, mit denen er die gestreifte Hose seines dunklen Anzugs für die Fahrt zusammengehalten hatte. Herr Markus war, wie man weiß, frisch rasiert, frisiert und manikürt. Sein Anzug stammte aus Berlin, er entzog auf eine hochmütige und beleidigende Weise dem Schneider Krainerz seine Kundschaft, und der Schneider Krainerz nahm, nebenbei gesagt, dafür Revanche, indem er seinen Bedarf an Kolonialwaren und Dingen des täglichen Bedarfs nicht im Warenhaus Markus kaufte, sondern in der alten Handlung von Gustav Keitlers Sohn. Markus fühlte sich richtig auf der Höhe. Seit dem Unfall und der Anwesenheit der Berliner in Lohwinckel hatte sich eine erregte Gehobenheit seiner bemächtigt. Dies war nun seine Angelegenheit, dies waren seine Menschen, dies betraf ihn, den verbannten Großstädter, ganz direkt. Trotzdem stand er unter dem Druck einer kleinen Befangenheit, während er den Gutshof überquerte, er konnte den Respekt seiner Knabenzeit vor der Gutsherrschaft nicht ganz aus den Knochen kriegen. Er äugte hinter seiner Brille her an Türen und Fenstern entlang. Dann reichte er einer Magd seine Visitenkarte hinein und fragte nach Leore Lania. Cand. jur. stand auf der Karte. Cand. jur. Heinrich Markus, ein toter Mann, der für eine halbe Stunde auferstanden war und im mittagswarmen Gutshof stand, um auf eine berühmte Schauspielerin zu warten.
    Die Lania wurde erst nach einigem Suchen aufgefunden, und zwar durch das Fräulein selber, rückwärts im leeren Stall. Sie hatte sich da mit einem neun Tage alten Kalb eingelassen, halb erheitert, halb trostbedürftig und auf jeden Fall auf der Flucht vor den Stunden bis zu Karbons Besuch, deren Unrast ihr kaum erträglich schien.
    »Will mich besuchen? Wieso denn? Wer ist denn das?« fragte sie, während sie etwas Stroh aus ihrem Anzug zupfte.
    »Ach, nur der Jude. Der Kaufmann vom Ort«, gab das Fräulein Auskunft.
    »Der kommt zu mir?«
    »Ja. Er hat sich täglich nach Ihnen erkundigt. Er hat in dem Düßwalder Anzeiger für Stadt und Land einen großen Bericht über das Autounglück gemacht. Der Assistent Munk erzählt, daß er mindestens zwanzig Telegramme fortgeschickt hat. An alle Zeitungen in Deutschland.«
    »Wer? Munk? Wer ist das?«
    »Munk ist der Beamte auf der Post. Markus ist der Kaufmann.«
    »Wer hat Berichte geschickt?«
    »Der Jude eben.«
    Leore, die bisher vor dem Kälbchen gekniet hatte, im warmen Muttergeruch der Kuh, erhob sich jetzt. ›Mit der Presse gibt es immer Komplikationen‹, dachte sie. Ganz plötzlich bekam sie Lust, sich einem Menschen zu zeigen, irgendeinem, bevor Karbon sie sah. Sie mußte sehen, ob man erschrak, wenn man sah, was mit ihr geschehen war. Daß jeder Mensch ihr Gesicht kannte, das unzerstörte von früher, und Vergleiche ziehen konnte, das nahm sie als selbstverständlich an.
    »Gut. Ich komme«, sagte sie und verließ schon den Stall. Sie trat in den Sonnenschein hinaus, der mit solcher Genauigkeit um alle Konturen lag wie in ein eiskalt feindliches Element. ›Ich bin nicht einmal gepudert‹ – dachte sie dabei, blieb aber mitten im Hof vor Herrn Markus stehen, mit dem automatenhaften Lächeln der Diva, und prüfte seinen Blick.
    Keineswegs hatte Markus ohne weiteres den Mut, auf die Wunde der Lania zu schauen; er murmelte etwas, verbeugte sich, und seine Augen wichen aus. Während die Lania noch lächelte, wurde der Schnitt groß, zwei bis drei Meter lang, und die Narbe hoch wie ein Gebirge. Sie spürte es sehr deutlich in ihrem kleinen Gesicht. »Kommen Sie, wir setzen uns in den Schatten; wollten Sie mich interviewen?« fragte sie routiniert und lotste Markus zu einer Bank, die unter einem schadhaften Holzvorbau stand. Als sie ihn neben sich untergebracht hatte, betrachtete sie ihn nicht ohne Spott. Bei dem zweimal wiederholten ›der Jude‹, ›der Kaufmann‹, mit dem Fräulein von Raitzold Herrn

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