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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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da ist doch was nicht richtig –«
    Die Lania hatte kaum zu Markus gesprochen, oder war er ihr zu unwichtig, um seinethalben ihren Monolog abzubrechen; ein Fünkchen Pose war auch dabei. Aber er kam in Bewegung wie auf ein tieferwartetes Stichwort.
    »Ja, gnädige Frau«, sagte er aufseufzend; »aber wer von uns lebt richtig?« Die Lania zog zu dieser Banalität erschreckt den Tuschfaden ihrer ausgezupften Augenbrauen hinauf, aber er hatte das Gefühl, etwas sehr Tiefes ausgesprochen zu haben.
    »Ich zum Beispiel, wenn ich von mir reden darf –«, sagte er, plötzlich ganz in Bewegung. »Darf ich von mir reden? Ich bin ja auch nicht an meinem Platz, ich bin ja völlig falsch eingestellt mit meiner Existenz. Gnädige Frau werden ja bemerkt haben, daß ich nicht in die Kleinstadt gehöre, ich bin ein Großstädter durch und durch, ein Weltbürger, möchte ich sagen, ein Kosmopolit –«, und dabei geriet er in so angespannte Erregung, daß seine Wadenmuskeln unter den grauen Wollsocken zu vibrieren begannen. »Ich stehe auf einem verlorenen Posten; aber ich halte durch, gnädige Frau. Ich lese sehr viel, ich habe Verbindungen mit der ganzen geistigen Welt. Meine Korrespondenz – ich möchte Ihnen gerne meine Korrespondenz zeigen. Ich habe Briefe von den bedeutendsten Menschen – Thomas Mann – Anatole France – Einstein –«
    »Ach?« sagte die Lania schwach überrascht. »Wieso denn?«
    »Ich schreibe ihnen eben. Wenn ich ein Buch gelesen habe oder einen Vortrag am Radio gehört oder ein Konzert, dann schreibe ich, und dann bekomme ich immer Antwort. Meistens bekomme ich Antwort. Ich habe Fotografien – Bruno Walter – Schaljapin –«
    »Ich werde Ihnen auch ein Bild schicken«, sagte die Lania automatisch. Sie wußte jetzt Bescheid über Herrn Markus. Solche Briefe kannte sie zur Genüge.
    »Ja, das sind eben große Menschen. Aber in Lohwinckel bin ich isoliert. Nicht den geringsten Anschluß.«
    »Wie kommt denn das?«
    Herr Markus brauchte eine Weile, bevor er antwortete. »Ja. Ich will es Ihnen sagen, gnädige Frau, wieso das kommt«, sagte er nachher, angespannt und gesammelt. »Sie werden es wahrscheinlich nicht bemerkt haben: Ich bin Jude.«
    »Na und?« fragte die Lania, die die Feierlichkeit bemerkte, aber nicht begriff.
    »Und? Aber gnädige Frau: Jude sein, das ist ein Schicksal. Das ist – wie soll ich es ausdrücken – man wird so – einzeln dadurch – so –«
    »Na – einzeln«, sagte die Lania. »Das kann man nun wirklich nicht sagen.« Sie mußte lachen. »Da kommen Sie nur mal nach Berlin –«
    »Ich war in Berlin; ich habe mehrere Semester in Berlin studiert«, sagte Markus düster.
    »So – na, da wissen Sie ja Bescheid. Jude – ich weiß gar nicht, was Sie daran finden. Ich war viermal verheiratet, zweimal mit Juden, Karbon ist ja auch Jude.«
    »Karbon?«
    »Ja – oder sein Vater, oder sein Großvater. Es kommt wirklich nicht darauf an.«
    »Herr Karbon – aber der sieht doch so mehr – der sieht schwedisch aus, finde ich.«
    »Schön. Sie können das schwedisch nennen«, sagte Leore, der es eine gelinde Süßigkeit bedeutete, Karbons Namen zu nennen; sie sah seinen roten Schopf sehr deutlich brennen in diesem Augenblick und spürte den Geschmack seiner Lippen sogar.
    »In einer Stadt wie Lohwinckel jedenfalls ist es ein Schicksal; es ist kaum tragbar, so zu leben«, beschloß Markus indessen, der in Gedanken den ganzen Umkreis seiner verbannten, verkorksten Existenz abgeschritten hatte.
    ›Die sind hier alle übergeschnappt‹, dachte die Lania. »Kinder, ihr übertreibt«, sagte sie und meinte auch das Fräulein von Raitzold damit. »Ihr nehmt alles so wichtig, vielleicht, weil ihr so wenige seid –«
    »Vielleicht. Es bleibt bei uns natürlich manches singulär, was in der Großstadt anders aussehen würde. Wir haben zu schleppen daran. Ach, gnädige Frau, gnädige Frau«, sagte er beschwörend, »wenn ich Ihnen das erklären könnte, es ist alles so schwer, gar nicht auszuhalten manchmal. Zum Beispiel mit der Musik. Ich habe eine Leidenschaft für Musik, ich spiele selber Geige, gar nicht schlecht. Da haben wir nun den Musikverein, Chor, auch ein kleines Orchester, der Regens chorii von Schaffenburg kommt sogar jeden Dienstag zur Probe herüber. Man nimmt mich nicht auf. Man nimmt mich nicht auf, gnädige Frau. Oder die Kammermusik. Es ist da so ein kleiner Zirkel, beim Bürgermeister spielen sie und beim Notar, der Sparkassendirektor spielt

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