Zwischenfall in Lohwinckel
schreiben, daß man gar nichts mehr von Ihrer Verwundung sieht«, verhieß er.
»In welche Zeitung?« fragte die Lania.
»In unser Blättchen; in den ›Düßwalder Anzeiger‹«, antwortete er mit jenem gezwungen-höhnischen Lächeln, das er für alle Lohwinckler Institutionen hatte.
»Ach so«, sagte die Lania.
»Ich kann natürlich auch nach Berlin berichten – ich werde versuchen –«, sagte Markus hastig. »Ich habe ja den ersten Bericht über das Unglück geliefert. Die Redaktion hat sich bei mir bedankt. Er ist überall nachgedruckt worden. Hier – wollen Sie lesen?«
Die Lania schaute mißtrauisch dem Griff in die Brusttasche zu, den sie von so vielen Leuten mit hoffnungsvollen Filmmanuskripten her kannte. Ein dickes Paket von Zeitungsausschnitten kam zutage. Herr Markus transpirierte stärker; seine gute Hose rutschte hinauf und dekolletierte graue, warme Socken, unter denen ebensowarme Unterbeinkleider Falten schlugen. Herr Markus hatte seinen Hut und ein paar Rehlederhandschuhe neben sich auf die Bank gelegt, wie die eleganten Herren in den veralteten Komödien es immer zu tun pflegen. Sie nahm höflich die Papiere entgegen und warf einen Blick in den Bericht, den sie schon genügend kannte. »An Ihnen ist ja ein Schriftsteller verlorengegangen –«, sagte sie zerstreut.
Das ist ein Wort, das einschlägt. Das geht Herrn Markus quer und direkt durchs Herz. Er ist kürzlich sechsundzwanzig geworden. Noch mit achtundsechzig wird er davon sprechen, daß an ihm ein Schriftsteller verlorengegangen ist. Die Lania indessen hält schon bei andern Dingen. »Haben Sie Peter Karbon auch besucht? Wie finden Sie ihn? Hat er viel abgekriegt?«
»Herr Karbon – oh, ich finde ihn ausgezeichnet. Er scheint einen kräftigen Organismus zu besitzen –«
»Kann man wohl sagen –«
»Er ist auch ausgezeichnet gepflegt worden. Frau Doktor Persenthein hat –«
»Ach ja, diese lange Person. Sie ist mir unsympathisch.«
»Ist aber eine sehr schätzenswerte Dame«, sagte Markus; alles, was er redet, ist so drahtig und zugeschnürt neben dem saloppen, freien Klang der Schauspielerin, er hört es selber, kann's aber nicht ändern. Er spürt jetzt, daß sein Anzug zu eng ist; überhaupt tragen alle Leute in Lohwinckel zu enge Anzüge und zu hohe Kragen, geht ihm plötzlich eine Erleuchtung auf. An den Berlinern sitzt alles locker, Kleider, Bewegungen und Gedanken. In Berlin – »Was halten Sie eigentlich von Doktor Persenthein – heißt er Persenthein oder wie?« stört die Lania ihn auf.
»Oh, der ist gar nicht so schlecht, wie die Leute sagen«, antwortet Markus. Das ist ein Trost, auf den der Puls wieder ganz verzweifelt in dem eiternden Stich zu schlagen anfängt.
»Ich habe auch Herrn Albert besucht. Der Herr ist wieder völlig gesund.«
»Wer – Albert? Ach – der Kleine!« sagte die Lania erstaunt; den hatte sie so völlig, so bis zum Auslöschen vergessen, daß es Mühe machte, sich seines Aussehens zu erinnern. Es blitzte auch nur flüchtig das Kampfgesicht auf, geduckt hinter der Deckung der Arme und grell beschienen vom Scheinwerferlicht über den Seilen.
»Dem Herrn ist gar nichts geschehen. Der kann froh sein.«
»Ja. Der kann froh sein. Er ist ja auch so unschuldig, der Kleine. Deshalb geht immer ein süßeskleines Schutzengelchen mit ihm«, sagte die Lania und klopfte ihre Augendeckel. »Wie ich aussehe«, sagte sie. »Scheußlich, wenn man sein Veronal nicht fertig ausschlafen kann. Ich kann hier nicht schlafen. Es ist zu still. Man muß zu viel denken.«
Sie schaute rund um sich, Teergeruch, Schläfrigkeit, abbröckelnder Bewurf neben wildem Wein an der Hausmauer und im Hintergrund das geduldige und beflissene Gackern eines Huhnes.
»Man glaubt, man träumt's nur. Bißchen Angst, zur Besinnung zu kommen. Stillsitzen – das muß man aushalten können, wissen Sie. Für unsereinen – sehen Sie: Ob Sie koksen oder ob Sie arbeiten, das ist ein und dasselbe Malheur. Wenn Sie aufhören, machen Sie schlapp. – ›Koksen‹, dachte Markus. Es klang so selbstverständlich, daß ihn ein kleiner Schauder anging. – Hockt man da und denkt. Etwas denkt in einem, wenn es so still ist, ob man Lust dazu hat oder nicht. Mir sind Dinge eingefallen, kann ich Ihnen sagen! Da ist doch etwas nicht richtig, wenn man mit seiner ganzen Existenz von so einem zwei Zentimeter langen Kratzer in der Visage abhängt. So darf man doch eigentlich nicht leben, so ganz außen nur, so nur mit der Fassade,
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