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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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erste Geige, miserabel, und die Tochter des Bürgermeisters zweite, Bratsche haben sie sozusagen überhaupt nicht. Aber eher fällt der Angermann ein, als daß ich da hineinkäme – das ist nur ein Beispiel«, sagte er, zitternd in dem Wunsch, das Interesse der Schauspielerin noch eine Minute für sein Schicksal festzuhalten. »Ich könnte erzählen, ich könnte Ihnen Beispiele geben, man hat ja lauter wunde Stellen –«
    Aber die Lania hatte nun genug. »Ja – natürlich. Die Musik. Aber Sie haben ja das Radio –«, sagte sie liebenswürdig, aber geistesabwesend.
    Markus verstummte. Ihm kam es vor, als läge der Hof voll von Steinblöcken, die er von sich abgewälzt hatte, und als lagen ebensolche Gewichte noch auf seiner Brust. Er hatte sich ausgesprochen. Jetzt war ihm schwerer als zuvor. Er räumte die Zeitungsberichte wieder in die Rocktasche. »Ich will aber nicht länger stören«, murmelte er.
    »Ja – ich werde auch zu Tisch müssen. Es war sehr liebenswürdig, daß Sie nach mir gesehen haben«, antwortete die Lania mit Glätte. Markus verließ die Bank. »Wenn Sie also für die Zeitung schreiben –«, sagte die Lania, ihn zu seinem Rad begleitend, wobei sie eine leere Konservenbüchse mit dem Fuß vor sich her trudelte; dabei erinnerte sie sich voll Kummer wieder ihres Aussehens und daß sie sich Karbon zeigen mußte.
    »Hören Sie – so etwas wie Puder gibt es hier wohl nirgends zu kaufen? Mein city-bag, in dem ich das Zeug hatte, ist eine Omelette geworden.«
    ›City-bag‹, dachte Markus beeindruckt. »Natürlich gibt es Puder, jede Sorte, die Sie wollen, deutschen, französischen, amerikanischen. Da unterschätzen gnädige Frau Lohwinckel wieder.« Jetzt beim Abschied fand er endlich den flotten Ton, um den er die ganze Zeit gerungen hatte. Erst als er zehn Minuten vom Gut entfernt war, stieg er vom Rad, um wieder die Klammern an seinen guten Hosen festzumachen.
    Die Lania trödelte noch ein wenig hinter ihrer Konservenbüchse her durch den Hof, dann ging sie zu Tisch. Herr von Raitzold verließ eben mit der Kalesche das Gut durch das rückwärtige Gatter, eine Wolke kam hinter den Rosenbeeten auf, mit einem Metallrand steif am Himmel stehend, sie brachte Gewitterahnung mit, und im Augenblick, da die Sonne sich umzog, kam der stechende Ammoniakgeruch der Jauchegrube vom Wirtschaftshof her. Herr von Raitzold kutschierte selbst, Leore sah noch seinen mutlosen Rücken, grade als der Wagen verschwand. Das Fräulein stand am Gatter und winkte ihm nach, die Gebärde zerfiel leer und ohne Nutzen in der Luft, niemand kümmerte sich darum. »Mein Bruder läßt um Entschuldigung bitten, er hat eine plötzliche, wichtige Unterredung mit den Leuten von der Kreissparkasse«, sagte sie. Bisher waren die Mahlzeiten auf dem Gut mit einer gewissen gesellschaftlichen Gehaltenheit absolviert worden, heute fiel das auseinander. Das Fräulein verschwand in der Milchkammer, Leore, allein vor dem großen runden Mahagonitisch mit den Delphinfüßen, bekam ein gebratenes Hühnchen serviert, das ihr nicht recht schmeckte, weil sie es persönlich gekannt hatte. Dunkelgrau, mit weißen Sprenkeln und einem unternehmend roten, jungen Hahnenkämmchen, war es noch gestern durch den Hof gestelzt. Leore legte Messer und Gabel fort, das Essen mit dem verdammten und vernähten Mund machte Schmerzen und Mühe, plötzlich war sie aller Dinge todmüde und hatte unabweislich genug von sich selbst.
    ›Ich habe die Nase voll‹, dachte sie, es war ein vulgärer Refrain, der sie manchmal in deprimierten Zeitläuften Stunden und Tage verfolgte. ›Ich habe die Nase voll, ich habe die Nase voll, ich habe die Nase voll.‹
    Was weiter? Sie suchte im Telefonbuch die Nummer des Frisörs und telefonierte lebhaft mit dem erregten Fräulein dort, bis sie Puder, Creme und Lippenstift gewählt hatte. Herr Polzer, der abwechselnd mit Herrn Munk am Postamt den Telefondienst versah, nahm starken Anteil daran; es war in Lohwinckel nicht üblich, daß die Damen telefonisch kosmetische Mittel bestellten, obwohl die Damen sonst allerhand für sich taten und montags und mittwochs sogar ein Gymnastikkurs tagte. Das Fräulein im Frisörladen, mit der schnellen Intimität, die zwischen Frauen herrscht, die über Schönheitsgeheimnisse beraten, hakte fest und begann ihre Biographie zu erzählen und was für merkwürdige Umstände sie nach Lohwinckel verschlagen hatten. Die Sache mit dem Kind und der Herr und der Freund und der Prinzipal – es war

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