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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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bin ja doch einer von euch.‹ Franz Albert, dessen Arm Herrn Profets Gattin flehend umklammert hielt, saß mit törichter Miene daneben und begriff die ganze Geschichte nicht. Er kam selten ins Kino, und da er nun einmal hier war und da die Lania ihm großartig gefiel, unvergleichlich besser als in Wirklichkeit, wollte er in Ruhe zusehen. »Haltet's Maul da vorne«, sagte er deshalb laut, stand auf und zeigte unwillkürlich seine Faust an dem gestreckten Gelenk, mit dem Gerade geschlagen werden.
    Ein bodenloses Getöse antwortete ihm. Man hatte den Kerl erkannt, mit dem der Schofför Müller die Profets Sekt hatte trinken sehen, während er selber mit dem gestorbenen Fobianke in der Stadt herumhausieren mußte. Franz Albert duckte und setzte sich wieder. Er kannte die Stimme des Publikums, aber er begriff durchaus nicht, was sie gegen ihn hatten. Tief sehnte er sich nach seinem Trainingslokal, nach Simotzky und seinem Sandsack. Unaufhaltsam war indessen der Film weiter abgerollt, die dicke Madame hatte die unschuldige Lore gezwungen, bei dem älteren Herrn Platz zu nehmen, und dieser begann so handgreiflich zu werden, daß sich das Eintrittsverbot für Jugendliche begründet fand. Da aber der Lärm im Saal, das Gegröle der Arbeiter und der Protest der Bürger kein Ende nahmen, da Stühle gerückt wurden, eine Bank umgeworfen wurde und einige sogar Miene machten, den Saal zu verlassen, ließ Herr Oertchen wieder eine Pause einlegen.
    »Wollen wir jetzt weggehen?« fragte Peter Karbon.
    »O nein«, antwortete Elisabeth. ›Wohin gehen?‹ dachte es dumpf in ihr. Ihr Haus machte ihr Angst, ihr Mann machte ihr Angst, beinahe sogar das Kind mit seinen Augen. Sie hatte alles liegen und stehen lassen heute nachmittag, hatte Heim und Küche dem völlig unzuverlässigen Lungaus überantwortet und hatte sich auf die Flucht begeben. Jetzt wußte sie nicht, wie zurückzufinden war. Sie wollte nur, daß es immer so weiter ginge, ein wenig wüst zwar und fieberhaft, aber in der peitschenden Neugierde auf diese Frau da oben und in der angepreßten, stummen Nähe des Mannes. Peter Karbon ließ ihre Hand los, als es hell wurde, aber sie nahm sie wieder und hielt sie fest und dachte, daß niemand das bemerke. Die Frau des Bürgermeisters bemerkte es, die Tochter des Bürgermeisters, die Schneiderin Ritting aus der Wassergasse und der bleikranke Arbeiter Lingel, das Fräulein aus dem Frisörladen sowohl wie Markus bemerkten es und nicht zuletzt der Apotheker Behrendt.
    Herr von Raitzold, der sich zusammengerissen hatte, als es hell geworden war, begann ein forsches Gespräch mit der Tochter des Bürgermeisters.
    »Wie finden gnädiges Fräulein das Stück?« – ›Das Stück‹, sagte er aus völliger Unkenntnis des im Kino Üblichen.
    »Ach – etwas banal. Gar nichts Höheres.«
    »Darf ich nach dem Befinden des Herrn Verlobten fragen?«
    »Danke. Er ist noch in Wiesbaden. Er hat dort eine Kurpraxis.«
    »Ah! Hat man keine Aussicht, ihn nach Lohwinckel zu bekommen?«
    »Ich möchte es schon, aber er will nicht recht. Es ist noch nicht entschieden.«
    »Soso«, sagte Herr von Raitzold und sackte wieder ab. Er atmete dankbar die Luft, die bei einem Galeriefenster hereinstrich, aber seine empfindlichen Atemorgane empfingen mit Befremden einen sonderbaren, bitteren Geruch.
    »Merkwürdig, wie die Luft schmeckt«, sagte er zum Bürgermeister. »Diese Fabrik verstänkert die ganze Gegend.«
    »Das ist nicht der Fabrikgeruch«, entgegnete der Bürgermeister, der sich die ganze Zeit geärgert hatte, weil Herr von Raitzold sich so selbstverständlich dazusetzte. »Das können ebensogut Ihre Kartoffeläcker sein; Sie brennen ja schon seit einer Woche das Kraut ab.«
    »Das ist kein Kartoffelkraut«, sagte Herr von Raitzold entschieden, verstummte dann und fuhr fort, den befremdlichen Geruch einzuziehen.
    Während in den gehobenen Schichten der Balkonloge dieses Gespräch vor sich ging, war unten beim Ausschank fast unbemerkt ein kleiner Zwischenfall eingetreten. Herr Oertchen, gefolgt von dem Postboten Ellinger, war an den trinkenden Betriebsrat Birkner herangetreten, hatte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: »Birkner, 's war e Depesch für Ihne da!« Birkner, der nicht gewöhnt war, Telegramme zu erhalten, wischte sich plötzlich hervorbrechende Schweißtropfen ab und sagte unschlüssig: »Des kann nur vom Pank komme«, und sodann stand er da und drehte das Formular erst eine Weile in den Händen, bevor er den Entschluß fand, es

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