Zwischenfall in Lohwinckel
hatten, zog ein breites und zufriedengestelltes Lächeln über die Gesichter.
Es war unbeschreiblich heiß und dunstig im Saal, Herr Roggenzahn wischte von Zeit zu Zeit mit einem Lappen über die Klaviertasten, die Nässe aus sich herausschlugen. Einmal knackte das überlastete Holz der Galerie so laut, daß es fast wie ein Schuß klang und der ganze Saal erschrocken zusammenfuhr und ängstlich hinaufsah. Im übrigen ging es still und nicht unfriedlich zu, obwohl alle Welt aller Welt Ellenbogen in die Rippen und Knie in die Hüften bohrte. Nur als im zweiten Bild des Films Lore ihr Tanzkostüm probierte, begannen die jungen Arbeiter roh und unmotiviert zu grölen, sie taten es teils aus Verlegenheit und teils, weil sie als gute Rheinländer jede Verkleidung lustig fanden. Man hatte für die Lania ein sehr pikantes Kostüm ausfindig gemacht, nur ein paar schwarze Karos, zwischen denen überall ihre Haut in quadratischen Ornamenten zutage trat wie ein seidiges Muster. Der Filmoperateur hatte den seidenen Eindruck dieser Haut dadurch zu verstärken gewußt, daß er raffinierte, kleine Reflexe aus ihrer Glätte hervorlockte. Besonders auf der Rundung der Schulter lag ein Schimmer, der alle Blicke fing.
Elisabeth Persenthein, die zeitlebens mit ihrer eigenen Erscheinung, ihrer Figur der toten Marmor-Sigismunda, unzufrieden war, soweit sie überhaupt Zeit fand, sich darum zu kümmern, hatte so etwas wie diese Schulter noch nie gesehen. Ohne es zu wissen, preßte sie Peters Hand ganz fest an sich, während sie das Spielende, ganz Gelockerte und Schwingende dieser überfeinerten Schulterlinie vor Augen hatte. Plötzlich begriff sie, daß der fremde Mensch da eine der schönsten Frauen der Welt besessen und aufgegeben hatte, ihrethalben, Elisabeth Persentheins wegen. Ein sanfter, traumdrehender Schwindel überkam sie für Minuten, alles war so unwahrscheinlich geworden; was mit ihr geschah, spielte außerhalb der Welt, in einem Raum mit anderer Luft, auf einem Stern ohne Schwergewicht. Oben tanzte die Lania, ganz allein auf einem beleuchteten Tanzparkett und voll einer kühlen und abseitigen Verlockung. Elisabeth schaute von dem Film fort, ihre Eifersucht war brennend geworden, fast erotisch, wie jede echte Eifersucht in ihrer letzten Tiefe den Tropfen körperlicher Bindung und neidvoller Verliebtheit für den Rivalen trägt. Peter Karbon sah ruhig, fast ein wenig müde zu der Leinwand hinauf. Er kannte den Film schon, fand ihn mittelmäßig und die verkratzte Wiedergabe überhaupt unmöglich. Elisabeth sah seinen Mund, erst jetzt bemerkte sie die auserlesene und sehr männliche Formung seiner Lippen, so stark, daß sie zusammenschauerte.
»Was gibt's?« fragte er.
»Du sollst nicht hinsehen –«, erwiderte sie heftig. Sie sagte ›Du ‹ , zum erstenmal und völlig ohne es zu wissen. Gleich darauf war das dritte Bild vorbei, und der Saal wurde für ein paar Minuten hell, denn Herr Oertchen wollte Geschäfte machen und Bier verkaufen. Im Hintergrund des Saales und unterhalb der Galerie war zu diesem Zweck ein Ausschank bereitgestellt, an den sich auch sogleich die erhitzten Gäste zu drängen begannen. Der Durst war in der Hitze so groß geworden, daß man den Werkmeister Hockling Schulter an Schulter mit dem Notar sein Bier trinken sah und daß der Sparkassendirektor sich nicht scheute, einen jungen Arbeiter beiseite zu drängen und ihm sein Glas wegzuschnappen. Gerade als die Pause zu Ende ging, Herr Roggenzahn eine Introduktion zu spielen begann und die Lichter im Saal erloschen, trafen noch zwei Männer in der Vorstellung ein. Der eine, der erschöpft und mit dem Gehaben eines Marathonläufers Oertchens Lokal erreichte, war erstaunlicherweise Direktor Burhenne, Putex selber, zu dem auf Umwegen die Nachricht gedrungen war, daß seine Zöglinge das Maß vollgemacht und sich in die Vorstellung gedrängt hätten. Er kam an als Autorität, als ein Mann, dem die meisten andern Männer der Gegend ihre Humanbildung zu verdanken hatten, und entschlossen, gründlich Ordnung zu schaffen. Ihm auf dem Fuß folgte seine aufgeregte, beschwichtigende und besorgte Hausdame, Frau Bartels. Schon am Eingang des Ganges bekam Putex einen Wortwechsel mit dem jungen Oertchen, dann auch mit Herrn Oertchen selber, man hörte den Streit bis in den Saal, über das Klavier hinweg und mitten in jene reizende Szene hinein, da Lore sich in einen jungen Schofför verliebte. Ein paar Leute zischten, ein paar lachten, und schließlich knallte die
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