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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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drehten zugleich mit Leores Drehungen. Sodann aber schnitt ein Bild dazwischen, das den jungen Schofför zeigte, wie er mit dem Wagen vor dem Nachtlokal wartete. Er schaute auf die Uhr – es war spät – er gähnte, er trabte auf und ab, er las Zeitung, er schaute wieder auf die Uhr. Wieder sah man Leore tanzen, und wieder sah man den Schofför draußen warten, jetzt wurde es Morgen, jetzt fror er, stellte den Kragen hoch, nickte ein, riß sich hoch, nickte wieder ein, riß sich immer wieder hoch, durfte nicht einschlafen –
    »Fobianke!« schrie hinten plötzlich jemand ganz laut. Es war eine von den grundlosen, aber blitzhaft aufhellenden Assoziationen, wie Irre sie manchmal haben. In der nächsten Sekunde war es totenstill im Saal, und in der übernächsten schon tobte alles zugleich los. Schreien, Pfeifen, Lärm, Gelächter, Zischen, Ruherufen. Ein Gebrüll: Fobianke! Fobianke! Fobianke! Das Klavier spielte seinen Marsch dazu, immer lauter, es klang wie Krieg, Pest und Aufruhr. Der Bürgermeister oben war aufgesprungen und schrie etwas Unverständliches in den Saal. Die Gymnasiasten kreischten hoch, außer Rand und Band vor Vergnügen. Die beiden Polizeileute rückten aus dem Gang an und postierten sich an die Saaltür. Die Lohwinckler waren zum großen Teil im Aufbruch. Hinten am Schanktisch zerbrachen schon Gläser, da schlugen sie sich schon. Vorne stürzten Bänke polternd um, alle drängten gegeneinander, und jeder war zum Feind von jedermann geworden. Der Kinooperateur hörte auf, seine Streifen laufen zu lassen, er drehte auf ein mißverstandenes grelles Klingeln hin seine Projektionslampe ab, noch bevor die Saallampen angeknipst waren. In einer Finsternis, die nur von zwei rubinroten Notausgangssignalen durchrissen war, tobte der Saal in sich wie schwarzes, aufgewühltes Wasser.
    Lange bevor es so weit gekommen war, hatte der nervenempfindliche Herr Markus schon den Kopf horchend zur Seite gelegt, als höre er jenseits der Klaviermusik und hinter dem Lärm noch etwas Entferntes und Unbestimmtes, darin ganz ähnlich dem leidenden Herrn von Raitzold, der mit jedem seiner mühsamen Atemzüge den fremden und sonderbaren Geschmack der Luft empfand.
    »Was gibt's?« fragte die Dame aus dem Frisörladen.
    »Ich höre etwas – Signale. Feueralarm«, flüsterte Markus. Er war ein leidenschaftliches Mitglied der freiwilligen Feuerwehr von Lohwinckel, obwohl der Feuerwehrvorstand aus rassepolitischen Gründen ihm keinen Mut zutraute.
    »Quatsch«, sagte das Fräulein und klammerte sich an ihn. Aber Markus horchte weiter und hörte weiter das Signal, es wurde lauter und kam näher, und er verfolgte es durch die ganze tobende Sinnlosigkeit des verdunkelten Saales hindurch und noch während ungezielte Püffe ihn gegen die Rippen trafen.
    Plötzlich wurde es hell im Saal, einen Augenblick trat Stille ein, und dann erblickte man den Schofför Müller, der bleich, verzerrt und schweißüberströmt an der Galeriebrüstung hing, dicht neben dem Bürgermeister, und heiser hinunterschrie:
    »Alles zur Spritze! Die Fabrik brennt!«
    In der Küche des Angermannshauses befand sich ein uralter Spülstein aus dem rötlich durchsprenkelten Granit der Gegend. Dorthinein hatte Frau Doktor Persenthein alles Geschirr unabgewaschen zusammengeschichtet, bevor sie gegen Abend das Haus verlassen hatte, um Peter Karbon auf der Düßwalder Chaussee entgegenzugehen. Der Wasserhahn leckte ein wenig, und die Tropfen fielen mit eintönig tristem Geräusch auf die ungespülten Teller und Schüsseln des zerrütteten Persentheinschen Haushaltes. Doktor Persenthein, der um fünf Uhr seine Sprechstunde abgebrochen hatte, weil er zu einer Entbindung in die kleine Gasse gerufen wurde, die den Namen ›Am Abzuch‹ führte, und der ziemlich abgekämpft nach sieben Uhr wiederkam, stand mit vorhängendem Kopf eine Weile in der Küche, verstand die Geschichte nicht und hörte dem Tropfenfall zu.
    Zwar erinnerte er sich dunkel, daß Elisabeth ihm irgend etwas wegen dieses Abends mitgeteilt hatte, aber da er nie recht zuhörte, wußte er gar nicht, was mit ihr los sein konnte. Er tappte in dem stillen Haus auf und ab, auch Rehles Zimmer war leer. Er suchte im Souterrain und fand die beiden Badezimmer in unbegreiflicher Unordnung, so, wie die Patienten sie verlassen hatten. Beide Wannen noch gefüllt, in einer die getrübten Reste eines Solbades, in der anderen, hölzernen braunes Moor, die Fliesen triefend naß und gleichfalls triefende Badelaken

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