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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baum Vicki
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Saaltür auf, Putex fiel beinahe herein und rief mit seiner Kathederstimme: »Ich verbiete das! Ich verlange sofortige –«
    Er kam aber nicht dazu, sein Verbot näher zu erklären. Denn obwohl die Lohwinckler, soweit sie dem Elternstand angehörten, ziemlich verärgert über ihre Söhne waren und obwohl viele Väter sich versprochen hatten, den betreffenden Filius nach der Vorstellung zu versohlen, so waren sie alle im Augenblick doch zu sehr gespannt und bei der Sache, um eine Störung der Vorstellung zuzulassen. Man brachte nach einigem Brummen, Zischen und Treten den Direktor Burhenne dahinten zum Schweigen. Wie das vor sich ging, kam nie heraus. Doch wurde es nach diesem Zwischenfall nicht mehr ganz ruhig im Lokal, und das lag zum Teil an den Verwicklungen der Filmhandlung.
    Lore nämlich hatte sich indessen in einen jungen Schofför verliebt, der im Dienst eines dicken und unsympathischen älteren Herrn stand. Dieser ältere Herr ließ sich in das mondäne Tanzlokal fahren, in dem Lore auftrat, und der junge Schofför mußte vor dem Portal warten, während der ältere Herr Lore erblickte und sie zu verführen begann. Grade an diesem Punkt der Handlung betrat noch ein zweiter verspäteter Gast den Saal, nämlich Herr von Raitzold, der zu Fuß vom Gut hereingekommen war, nicht ohne, hustend und keuchend und in asthmatischen Qualen Baumstämme umklammernd, sich im dunkelnden Wald verzögert zu haben. Die Luft des Saales schlug ihm stickig entgegen, aller Sauerstoff war aus ihr fortgeatmet, und wenn Herr von Raitzold trotzdem in der Vorstellung blieb, so geschah dies aus unklaren und verzweifelten Gründen. Vielleicht nur aus Unruhe und Rastlosigkeit und dem Unvermögen, es auf dem Gut auszuhalten; vielleicht aber in der Hoffnung, hier irgend jemanden von Einfluß zu treffen, zu sprechen, umzustimmen, zur Hilfe zu bewegen. Äußerlich war von dieser Verstörung nichts zu merken als etwa eine Blässe, die aber nicht auf der Oberfläche seiner braungegerbten Landwirtshaut lag, sondern in den tieferen Schichten seine Blutgefäße zusammenkrampfte und leerte. Übrigens warf Herr von Raitzold nur einen Blick in den überfüllten Saal und stieg dann, schwer Atem ziehend, zur Galerie hinauf, wo er mit der Selbstverständlichkeit des geborenen Herrn hinter der Tochter des Bürgermeisters Platz nahm.
    Gleich nachdem er sich gesetzt hatte, ging unten in den vorderen Reihen ein Lärm los, dessen Ursache er nicht gleich begriff. Der ältere Herr nämlich, von den Filmautoren durchaus als komische Figur gemeint, war von den Arbeitern anders aufgefaßt worden. Er saß dick und zufrieden an einem Tisch und aß, die Kellner liefen und schleppten Gang auf Gang, der Maître d'Hôtel selber brachte Sekt und schenkte ein, und der ältere Herr kaute, schluckte und trank.
    »Grad wie unser Alter!« sagte da jemand vorne ganz laut. Es klang ganz friedlich, und es wurde auch gelacht dazu. Der Alte, das war im Jargon der Fabrik Herr Profet, und tatsächlich ließ sich eine ganz entfernte Ähnlichkeit zwischen ihm und der Filmfigur entdecken, mochte es nun an der Speckfalte im Nacken, an der runden Seehundskopfform oder einfach an dem satten und verschmitzten Ausdruck liegen.
    »Der schluckt!« sagte jemand anderer ganz unverhohlen. Rückwärts auf den ersten Plätzen wurde gezischt. »Der hat's ja auch dazu!« hieß es vorne weiter. Einer pfiff auf den Fingern. Herr Roggenzahn, der schon ein wenig betrunken war, schaute mit einverständlicher Miene ins Publikum und griente dazu. Plötzlich wurde seitwärts an der Wand, wo die jungen Arbeiter standen, ein Lied angestimmt:
    »Der Profet, der sauft Sekt, Wenn der Arbeiter verreckt.«
    Gelächter. Lärm. »Ich bitte um Ruhe.«
    »Befiehl ihnen, daß sie ruhig sein sollen«, verlangte die Frau Bürgermeister oben. Der Bürgermeister schüttelte abgeklärt den Kopf. Herr von Raitzold suchte im Saal unten nach Herrn Profet. Herr von Raitzold haßte die Arbeiter, ihm waren sie ein für allemal Proleten, Gesindel, das vom Feld weglief zu den höheren Fabrikslöhnen, das Land und Boden verkommen ließ und selber dabei verkam. Trotzdem war er nicht weit davon entfernt, in diesem Augenblick gefühlsmäßig für sie Partei zu nehmen, aber er verhehlte sich das selber. Profet hielt sich nicht schlecht bei dem Rummel. Zwar zog er die Ohren ein wenig zwischen die Schultern, aber er lächelte nicht ohne Pfiffigkeit, fast zustimmend, als wolle er sagen: ›Amüsiert euch nur, Kinder, das macht nichts. Ich

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