Zwischenspiel: Roman (German Edition)
liegt bisher nicht vor. Der IM gilt als zuverlässig. Er ist sehr besorgt um seine Tochter, deren Zukunft er in der BRD gefährdet sieht.«
Wir fanden andere Seiten, auf denen einige Wochen später der Eingang des besagten Antrags bestätigt und der IM Modigliani beauftragt wurde, den Kontakt zu seiner Tochter zu intensivieren, um möglichst viele Informationen über Absichten und Pläne der Familie K. in Erfahrung zu bringen. Dem IM wurde erklärt, dass auch im Fall der Ausreise der Familie K. man den Kontakt zu seiner Tochter weiterhin gewährleisten werde, entweder durch ungehinderte Ein- und Ausreise des Kindes oder, sollte die Mutter das verhindern wollen, durch legendengestützte Besuche des IM bei der Tochter, da die Behörde ein wesentliches Interesse an Informationen aus dem Umfeld der Familie K. habe. Der IM habe sich bereiterklärt, unter diesen Bedingungen auf ein juristisches Vorgehen gegen die Ausreise des Kindes zu verzichten.
Hendrik wühlte weiter in den Akten. Ich saß wie taub und blind neben ihm im Sessel, rauchte, wollte etwas sagen, fand keine Worte außer »mein Gott« oder »das eigene Kind«. Mit diesem Mann hatte ich gelebt, er war der Vater meines einzigen Kindes, ein Vater, der fähig war, die eigene Tochter zum unfreiwilligen Spitzel zu machen. Und ich hatte nichts davon bemerkt.
Bis in die Nacht konnten wir nicht aufhören, halb vergessene Ereignisse wieder aufzurufen, sie ins Licht des Bernhardschen Verrats zu rücken und neu zu deuten. Warum war damals die Sache mit der Wohnung, die Hendriks Freund Thomas für uns in Charlottenburg gefunden hatte, in letzter Minute doch noch geplatzt? War der Vermieter nicht ein Gefährte aus Thomas’ Maoisten-Zeit? Vielleicht mit guten Kontakten zur DDR ? Und warum hatte die linksalternative Zeitung, für die ich unter Pseudonym noch aus Ostberlin einige Artikel über die junge Künstlerszene der DDR geschrieben hatte, plötzlich kein Interesse mehr an mir? Lag es wirklich nur daran, dass ich nun keine authentische Zeugin mehr war und für die eigene, westliche Kunstszene als inkompetent galt? Oder bekam die Zeitung vielleicht Geld aus der DDR ? Oder gehörte der Redakteur zu den Stasi-Vertrauten, von denen es, wie man inzwischen wusste, im Westen Tausende gegeben hatte? Und hätten wir nicht gleich misstrauisch werden müssen, als das Kulturministerium Hendrik darauf hinwies, dass seine Stieftochter ihren Vater jederzeit besuchen dürfe? Ich war damals nur erleichtert, weil ich Fanny außer der Trennung von ihren Freunden und Verwandten nicht auch noch den Verlust ihres Vaters zumuten musste. Außerdem kannten wir vergleichbare Fälle, die unser aufkeimendes Misstrauen zerstreuten. Aber wie hatten wir uns eigentlich erklärt, dass Bernhard eines Nachmittags unangemeldet vor unserer Tür stand? Er sei beauftragt, gewisse inoffizielle kooperative Leistungen der Ost- und Westberliner Museen zu befördern, sagte Bernhard und berichtete von einigen bürokratischen Absurditäten, die seine Geschichte offensichtlich mit der dringend notwendigen Glaubwürdigkeit ausstatten sollten.
Natürlich haben wir ihn verdächtigt, sagte Hendrik, nicht nur verdächtigt, wir waren uns sogar sicher.
Aber doch nicht, dass er unseretwegen gekommen ist. Wir dachten, dass er die Museen ausspionieren soll oder sonstwen, aber doch nicht uns.
Ich weiß genau, dass wir uns ziemlich schnell verabschiedet und irgendeine Verabredung erfunden haben.
Ja, aber dann haben wir ihm noch Geld gegeben, damit er Fanny zum Eisessen einladen kann. Mein Gott, es tut mir so leid.
Was, das Geld?
Dass ich das alles in unser Leben geschleppt habe, sagte ich, aber damals war er nicht so, jedenfalls nicht, als ich ihn kennenlernte.
Wir rufen ihn an, los, gleich, sagte Hendrik.
Es ist mitten in der Nacht.
Na und, hat er sich vielleicht um irgendeinen Anstand gekümmert?
Und Fanny?
Wir riefen Bernhard nicht an, auch später nicht. Fanny steckte gerade im Abitur, und wenn es auch keinen guten Zeitpunkt geben konnte, ihr zu offenbaren, womit sie ihre kindliche Liebe zu ihrem Vater bezahlt hatte, so war dieser aber bestimmt ein schlechter. Erst als Fanny ein Jahr später auch Bernhard zu ihrem zwanzigsten Geburtstag einladen wollte, klärte ich sie über den väterlichen Missbrauch auf. Fanny weinte, war wütend, schämte sich. Für einige Jahre brach sie den Kontakt zu Bernhard ab. Erst nachdem Hendrik uns verlassen hatte, suchte Fanny wieder die Nähe ihres Vaters.
Damals habe ich
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