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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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nicht sofort sichern oder diesen Platz mit ihm verlassen sollte, würde sie die Polizei rufen.
    Sie holte ihr Telefon aus der Tasche, legte ihren zarten Finger auf die Tastatur wie an den Abzug einer Waffe und sah mich an, als zählte sie stumm von drei bis null, um dann erbarmungslos abzudrücken. Soweit ich es bei meiner geheimnisvollen Sehstörung beurteilen konnte, war sie eigentlich hübsch und, wie die Kleidung verriet, gut versorgt, sie trug einen Ehering; also nichts, was auf den ersten Blick ihre Bosheit erklärt hätte. Aber sie meinte es ernst.
    Ich sah hilfesuchend zu Olga, aber wo sie eben noch gesessen hatte, stand nur noch der leere Stuhl. Hastig trank ich den Rest meiner Limonade, mit dem ich eine unflätige Bemerkung, die mir im Hals steckte, hinunterspülte, und rief Nicki, der sich unter dem Tisch verkrochen hatte. Der Wurstverkäufer lächelte mir zu und hob ratlos die Schultern. Die Frau zischte mir etwas hinterher: Den Hund nicht kennen, aber ihn beim Namen rufen, Unverschämtheit, hörte ich noch.
    Ich warf Nicki einen Stock, dem ich selbst schnell hinterherlief. Erst als ich den Abstand zur Wurstbude für groß genug befand, blieb ich stehen und versuchte, in dem grünen Geflimmere um mich herum Olga wiederzufinden.
    Hier bin ich, rief sie und stand wieder neben mir.
    Ich habe Angst vor solchen Menschen, wahrscheinlich ein Relikt aus der Kindheit, sagte ich.
    Du verstehst nicht, warum sie so wütend sind, und traust ihnen darum auch Schlimmeres zu, sagte Olga.
    Verstehst du sie denn?
    Vielleicht, sagte Olga, ich wollte dir gerade vom »Traumspiel« und der Tochter Indras erzählen, die auf die Erde kommt, weil sie erfahren will, ob die Menschen es wirklich so schwer haben, wie man sagt. Sie geht von Station zu Station, trifft ewig Wartende, deren Hoffnung unerfüllt bleibt, glücklich Liebende, die im Unglück stranden, Arme und Reiche, Philosophen, Theologen, Juristen, Mediziner, die alle einander verachten. Immer ist das Glück des einen das Unglück eines anderen, hinter jedem Glück lauert das Unglück, mit dem es bezahlt werden muss. Für alles, was Agnes sieht und erfährt, hat sie den einen Satz:
Es ist schade um die Menschen.
Wegen dieses Satzes wollte ich unbedingt die Tochter Indras spielen, es kam nie dazu. Aber ich habe ihn in meinem Leben hunderttausendmal gedacht, immer wieder: Es ist schade um die Menschen, es ist schade um die Menschen. Der Satz hat mich getröstet. Er bedeutete ja, dass die Menschen zu etwas Besserem bestimmt waren und nur irgendein Defekt, ein unglücklicher Umstand sie daran hinderte zu werden, wie sie sein könnten, sagte Olga.
    Hast du so auch über uns gedacht, über deine Söhne, Andy und mich: es ist schade um die Menschen? Und über dich und Hermann?
    Ja, sagte Olga, oft.
    Nicki, der zwischen uns lief, drehte plötzlich ab, als würde er an einem Strick gezogen, und lief zwei Meter zurück. Ein alarmierender Duft unter einem Strauch hatte etwas verspätet sein Interesse geweckt. Er beroch einen feuchten Sandfleck ausgiebig, kratzte mit der Pfote vorsichtig die oberste Schicht weg, fuhr immer wieder mit seiner leicht zuckenden Nase darüber, um dann, als er über das Vorgefundene genug wusste, die Hinterlassenschaft seiner Vorgänger energisch zu überpinkeln.
    Er hat es leicht, sagte ich, er tut, was er tun muss. Tiere können nichts falsch machen, sie kennen das Falsche gar nicht. Vögel finden über zehntausend Kilometer ihr Winterquartier, Wölfe wissen, dass sie ihren Rudelführer zu akzeptieren haben, und wenn er alt und schwach wird, beißen sie ihn weg. Tiermütter können ihre Jungen aufziehen, ohne Bücher zu jedem Lebensalter zu lesen. Aber die Menschen müssen immerfort die kompliziertesten Dinge entscheiden, und dabei machen sie dann die Fehler.
    Ja, sagte Olga, wir hätten eben nicht vom Baum der Erkenntnis essen dürfen.
    Ich denke, du bist eine Bahai.
    Aber davor war ich Protestantin, das geht jetzt alles ein bisschen durcheinander. Auf jeden Fall hängt es mit der Vernunft zusammen. Die Bahai sagen, Gott hat sie uns gegeben, und die Christen sagen, wir haben sie genommen, obwohl es uns verboten war, und seitdem ist die Sünde in der Welt. Und die Schuld.
    Aber meine Damen, sagte jemand in unserem Rücken, auf welch glitschigem Boden schlittern Sie da so ungelenk herum?
    Bruno sprang uns mit einem Satz vor die Füße, küsste Olga die Hand, machte in meine Richtung eine kleine Verbeugung und sagte: Gnädigste, schön, Sie wiederzusehen.

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