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Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Zwischenspiel: Roman (German Edition)

Titel: Zwischenspiel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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mich gefragt, ob ich ihr diese nutzlose Wahrheit nicht besser erspart hätte und ob Fannys Entscheidung, ihren Vater für Jahre aus ihrem Leben zu verbannen, nicht nur ein Tribut an uns, vor allem an Hendrik, gewesen war.
    Er ist ihr Vater, dachte ich oder sagte Olga, die ohne sich zu rühren auf ihrem Stuhl saß und Nickis Zuneigung genoss.
    Kennst du die Geschichte eigentlich?, fragte ich.
    Bernhard hat sie mir erzählt, damals, als Fanny ihn nicht sehen wollte, sagte Olga.
    Wir haben nie darüber gesprochen, sagte ich.
    Olga schwieg eine Weile, sah mich dabei lange an, als wolle sie mein Innerstes erforschen, fuhr sich mit ratloser Geste über das Haar, zögerte, fragte endlich, ob ich schon einmal daran gedacht hätte, dass Bernhard als Fannys Vater unsere Ausreise auch hätte verhindern können; ob ich mich je gefragt hätte, wie es in ihm aussah, als er erfuhr, dass er Fanny verlieren würde und sie vielleicht erst als Rentner wiedersehen dürfte, wenn sie ihn dann noch erkannt hätte. Habt ihr überhaupt an Bernhard gedacht, als ihr sein Kind einfach mitgenommen habt? Was hätte er tun sollen? Fanny klaglos ziehen lassen? Oder euch zwingen zu bleiben? Aus seiner Sicht hat er eine anständige Wahl getroffen. Euch konnte doch nichts mehr passieren, sagte Olga und wandte den Blick nicht von mir.
    Du findest es anständig, das eigene Kind auszuspionieren?
    War es anständig, sein Kind zu entführen?
    Weder lag in Olgas Frage ein Vorwurf, noch schien sie eine Antwort zu erwarten. Was hätte ich auch sagen können? Ich hatte damals nicht einmal darüber nachgedacht, ob es anständig war, Bernhard von Fanny zu trennen, weil ich nicht dafür zuständig war, dass es in Berlin unter Androhung des Todes verboten war, von einem Teil der Stadt in einen anderen zu gelangen, ich verbot auch keine Bücher und sperrte keine Menschen ins Gefängnis. Ich wollte mit meinem Kind nur nicht mehr da leben, wo das alles geschah. Bernhard und Rosi gehörten zur anderen Seite, zu den Rechtfertigern und Verharmlosern des Verbietens, Einsperrens und Schießens, und somit war Bernhard sein eigenes Opfer geworden, dem ich weder Rücksicht noch Mitleid schuldete. Vielleicht habe ich damals aber überhaupt nicht an Bernhard gedacht, jedenfalls konnte ich mich nicht erinnern, dass er bei unseren Aufbruchplänen eine Rolle gespielt hätte. Warum ich nie damit gerechnet habe, dass er Fannys Ausreise hätte verhindern können, wusste ich nicht mehr.
    Die Fußballer waren wieder abgezogen, Nicki löste sich aus Olgas Händen und schlappte sich mit langer Zunge sein Wasser in die Schnauze, wobei er mitten in unser Schweigen ein so herzhaft irdisches Geräusch erzeugte, dass wir beide lachen mussten.
    Olga legte ihre Hand auf meine. Manchmal, sagte sie, gibt es das Richtige einfach nicht, und man hat nur die Wahl zwischen dem einen und dem anderen Falschen, und dann weiß der Mensch sich nicht zu helfen.
    Ja, sagte ich und dachte, dass Olga mich wohl daran erinnern wollte, wie ich vor dreißig Jahren vor dem kranken Andy geflohen war, weil ich mir anders nicht zu helfen wusste. Es war schändlich zu fliehen, und es wäre falsch gewesen zu bleiben. Ja, sagte ich noch einmal, manchmal ist es so.
    Weißt du, sagte Olga, als ich noch Schauspielerin werden wollte, habe ich die Agnes aus dem »Traumspiel« von Strindberg einstudiert. Kennst du das Stück?
    Ich kannte es nicht, und Olga wollte mir gerade erzählen, warum Agnes, die Tochter des Gottes Indra, auf die Erde kommt, als eine junge Frau mit ihrem kleinen Sohn sich an den Tisch neben uns setzte. Das Kind zog seine Beine ängstlich auf den Stuhl, ohne Nicki, der ruhig zu Olgas Füßen lag, aus den Augen zu lassen. Die Mutter warf mir in kurzen Abständen missbilligende Blicke zu, die ich der Zigarette in meiner Hand zuordnete und vorsichtshalber mit einem Lächeln beantwortete, was die Frau zusehends erregte, bis sie den Anlass ihres Zorns endlich preisgab: Im Park herrscht Leinenzwang, sagte sie, sechs Silben, in denen ihr bebender Protest kaum Platz fand.
    Ich erklärte so sanft, wie es mir möglich war, dass der Hund offenbar verlorengegangen sei, sich mir nur angeschlossen habe und ich darum nicht einmal eine Leine besäße, an die ich ihn legen könne, der Hund aber verständig und ausgesprochen liebenswürdig sei und weder für sie noch für ihr Kind eine Gefahr darstelle.
    Jeder Hund könne zur Bestie werden, sagte die Frau, zumal ich den Hund nicht einmal kennte, und falls ich das Tier

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