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Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Titel: Zwischenstation Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Neumann
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entlaufene Irre. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich leise vor mich hin lachte oder auch mal fluchte, je nachdem welche Erinnerung ich gerade Revue passieren ließ. Mir war das völlig schnuppe, denn ich hatte mein Gedächtnis wieder! Die Wochen zuvor waren schrecklich für mich gewesen, nie hatte ich gewusst, was wahr war und was nicht. Ich hatte mich nur auf die Aussagen anderer verlassen können, die mich aber nicht immer weitergebracht hatten. Selbst als ich herausgefunden hatte, dass ich Zeitreisende war, hatte Phil mir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Er hatte mir verschwiegen, wie wir uns wegen Raleigh gestritten hatten und wie er vor seinen Gefühlen davongelaufen war. Manchmal war Phil noch immer ein Rätsel für mich. Mittlerweile hatte er keine Probleme mehr, mir seine Liebe zu gestehen. Wenn es aber darum ging, mir unangenehme Dinge aus unserer Vergangenheit zu erzählen, hatte er dicht gemacht und alles abgeblockt. Warum hatte er mir nicht sagen können, was am Valentinstag geschehen war? War es ihm etwa peinlich gewesen? Wenn ich nicht mein Gedächtnis zurückerlangt hätte, dann hätte ich vermutlich nie davon erfahren. Alleine das Gefühl, sich wieder an alles erinnern zu können, war unbeschreiblich und wundervoll. Aber nun stand ich vor einem ganz anderen Problem: Wie sollte ich Marie erklären, was ich die Wochen zuvor getan hatte? Ihr zu erzählen, dass ich Zeitreisende war, hielt ich für keine gute Idee; beste Freundin hin oder her. Es betrübte mich, dass ich die alte Ausrede, ich hätte viel für die Schule zu tun gehabt, weiterhin nutzen musste, doch es war die einzige, die einigermaßen glaubhaft klang. Hinzu kam, dass ich ihr auch noch die Sache mit Phil erklären musste, dass wir zwar zusammen waren, aber derzeit Unstimmigkeiten zwischen uns herrschten. Wie hatte ich eigentlich nur glauben können, dass mit der Wiedererlangung meiner Erinnerungen all meine Probleme Vergangenheit sein würden? Sie waren nur anderer Art als vorher.
    Ich parkte meinen Wagen in der Nähe des verabredeten Treffpunkts und beeilte mich , zum Brauhaus zu kommen. Es war Freitagabend und die Gaststätte war mehr als gut gefüllt. Ich kämpfte mich durch das Restaurant, immer auf der Suche nach Marie. Als ich sie entdeckte, musste ich grinsen, eigentlich hätte ich von vorneherein darauf kommen müssen. Ich hätte nur nach der größten Ansammlung von Männern Ausschau halten müssen und automatisch Marie gefunden. Sie stand inmitten einer Männergruppe, die anscheinend auf Junggesellenabschied war, wenn man die T-Shirts mit der Aufschrift ›Kevin’s letzter Abend in Freiheit‹ richtig deutete. Die Lehrerin in mir runzelte ob der falschen Benutzung des Genitivs die Stirn, aber ich würde mich garantiert nicht auf eine Diskussion über deutsche Grammatik mit ihnen einlassen. Unter gemurmelten Entschuldigungen schob ich mich an den Herren, in Richtung Marie, vorbei. Meine Ankunft wurde lautstark bejubelt, in ihren Augen war ich noch ein Opfer mehr, dem sie zeigen konnten, wie unwiderstehlich sie waren.
    »Wie hast du dir die denn wieder angelacht?«, flüsterte ich meiner Freundin ins Ohr, während ich sie zur Begrüßung umarmte.
    »Ach, ich weiß auch nicht. Ich stand hier, habe etwas getrunken und mir die Beine in den Bauch gewartet, dass du endlich kommst, und plötzlich standen sie vor mir. Warum bist du so spät?«, erwiderte sie ebenso leise. Ich ließ sie los, trat einen Schritt zurück und strahlte sie freudig an. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, mischte sich die Partygesellschaft um uns herum ein.
    »Marie, wer ist deine hübsche Freundin?«, fragte ein blonder, blauäugiger Kerl, der höchstens Anfang zwanzig sein konnte. Der Blick, den er mir dabei zuwarf, schwankte zwischen bewundernd und lüstern. Er wankte einen Schritt in meine Richtung und wollte nach mir greifen, doch ich kam ihm zuvor und ging zur Seite, sodass er ins Leere lief. Seine Freunde grölten lauthals auf. Wann würden all die Junggesellen und Junggesellinnen endlich verstehen, dass diese Abschiede für keinen ein Spaß waren? Wieso Marie überhaupt aufs Brauhaus gekommen war, war mir im Nachhinein ein Rätsel. Man konnte dort zwar gut essen, aber am Wochenende war der Laden fest in der Hand von diesen merkwürdigen Abschiedstourneen. Sollte ich jemals den Hafen der Ehe ansteuern, würde so etwas für mich nicht in Frage kommen. Eher würde ich mich in mein Schlafzimmer einsperren und erst zur Hochzeit wieder

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