Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
Gasthauses betraten. Bei der Erwähnung der bekannten Schriftsteller stöhnten die Schüler laut auf. Die weitere Aufnahme von Kultur stand nicht mehr auf ihrem Tagesplan, ihnen stand der Sinn nach Essen und Ale. Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit durchströmte mich beim Betreten des Pubs. Der Hof war von drei galerieartigen Gebäuden umgeben, von denen zwei eindeutig neueren Datums waren. Lediglich die Eingangsseite des Pubs wirkte wie ein Relikt aus alten Zeiten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich schon einmal hier gewesen war. Wobei das völlig absurd war, dies war mein erster Besuch des Pubs. Ich hatte es immer wieder vorgehabt, aber irgendetwas war jedes Mal dazwischengekommen. Und doch kam es mir auf eine seltsame Art und Weise vertraut vor.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte mich eine Schülerin, als ich keinerlei Anstalten machte , mit den anderen in den Gastraum einzutreten, sondern im Hof stehenblieb und versuchte, das merkwürdige vertraute Gefühl zu vertreiben.
»Selbstverständlich , Charlotte, ich war nur in Gedanken. Komm, gehen wir rein«, erwiderte ich und folgte ihr. Im Innern unterschied sich das Pub kaum mehr von anderen historischen Inns und ich schob das Gefühl der Vertrautheit darauf. Eins sah aus wie das andere und vielleicht hatte sich meine Erinnerung an ein anderes Pub mit dem Anblick dieses Orts vermischt.
Eine junge, recht hübsche Frau kam gelangweilt auf unseren Tisch zu. Bei Phils Anblick änderte sich ihre Haltung schlagartig und eine merkliche Veränderung ging mit ihr durch. Wie weggeblasen war die genervte Miene, stattdessen zeigte sie ein freundliches Lächeln und begrüßte ihn aufs herzlichste. Den Rest unserer Truppe ignorierte sie. Zog er tatsächlich immer alle Blicke auf sich? Wurden Frauen in seiner Gegenwart regelmäßig zu einem sabbernden Etwas? Stets darauf bedacht, ihm zu gefallen? Und das, obwohl sie ihn noch nicht mal kannten? Sie wussten nichts über ihn. Nicht, dass er humorvoll, intelligent und rücksichtsvoll war. Ein guter Gesprächspartner, der einem aber doch manchmal gewaltig auf die Nerven gehen konnte. Sie hatten nicht miterlebt, wie er in Rage geraten konnte und wie ein Lächeln von ihm den Raum zum Leuchten brachte. All das wussten sie nicht und trotzdem lagen sie ihm in Scharen zu Füßen. Ich blickte zu meinen Schülerinnen und stellte fest, dass auch sie immer wieder mit einem verdächtigen Glanz in den Augen zu ihm sahen. Keiner machte sich die Mühe, hinter sein hübsches Gesicht zu sehen und den Mann dahinter zu entdecken. Und es gab viel zu entdecken, er war vielschichtiger, als ich geglaubt hatte, und ich mochte den Mann hinter der ansehnlichen Maske sehr, vielleicht zu sehr.
» And for you Ma‘am?«, riss mich die Stimme der Bedienung aus meinen Beobachtungen. Verschwunden war die Begeisterung und Freundlichkeit, die sie noch wenige Momente zuvor meinem Kollegen hatte zukommen lassen. Ihr Trinkgeld konnte sie sich schon mal abschminken, so viel war klar. Vielleicht würde Phil sich großzügiger erweisen, aber von mir würde sie keinen Penny zu sehen bekommen!
14. Kapitel
Am nächsten Tag standen Saint Paul’s Cathedral und das Globe Theatre auf dem Programm. Zwar keuchten die Schüler, als wir sie die Stufen hinauf zur Aussichtsplattform scheuchten, doch sie verstummten, als sie mit einem atemberaubenden Ausblick über die ganze Stadt belohnt wurden. Uns zu Ehren hatte sich das typische Londoner Wetter verzogen und stattdessen war es klar, sonnig und kalt, aber wunderschön. Wir besorgten uns nach der Besichtigung der Kirche noch schnell ein paar Sandwiches im nahe gelegenen Marks & Spencers, bevor wir über die Millennium Bridge hinüber zum Globe spazierten. Ich war schon zu Besichtigungen im Globe gewesen, aber Karten für die begehrten Aufführungen hatte ich bisher noch nie ergattern können. Somit war dieser Besuch auch mit einer Premiere für mich verbunden und ich hatte wie ein Kind, das sich auf Weihnachten freute, der Vorstellung entgegengefiebert. Noch begeisterter war ich, als ich sah, dass statt des angesetzten ›Richard III.‹ ›Viel Lärm um Nichts‹ aufgeführt wurde, eines meiner Lieblingsstücke des Barden. Ich mochte es, wenn am Ende alle glücklich waren. Tragödien gab es meiner Meinung nach im wahren Leben genug.
Mit großen Augen betraten die Schüler den Innenraum des Theaters. Wir standen in der Mitte des Runds, das von zwei rundherum gehenden hölzernen Rängen umgeben war. Von
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