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Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Titel: Zwischenstation Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Neumann
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unserem Platz aus schauten wir auf die schmucklose Bühne, die in den Zuschauerraum hereinragte. Lediglich ein Balkon und zwei bunte Säulen zierten die Bühne, der Rest sollte der Phantasie des Zuschauers überlassen werden.
    »Wo sind unsere Plätze?«, fragte mich einer der Schüler. Das war die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit über gefürchtet hatte. Zwar hatte ich mich um Plätze für die Ränge beworben, diese verfügten über Sitzplätze, allerdings waren die Karten in Windeseile vergriffen gewesen, daher mussten wir uns mit den Plätzen der sogenannten Groundlings zufriedengeben.
    »Wir bleiben stehen, es gab keine Sitzplätze mehr. Wir werden wie das einfache Volk früher stehen und das Stück von hier aus betrachten.« Kaum hatte ich es gesagt, stöhnten die ersten Schüler auf.
    »Aber wenn es regnet, werden wir nass. Dürfen wir dann gehen?«, murrte Charlotte. Ein Blick durch das Rund des Theaters bestätigte mich in meiner Annahme, dass es dazu nicht kommen würde, dafür war das Blau des Himmels zu leuchtend.
    »Es wird nicht regnen und falls doch, bleiben wir trotzdem bis zum Ende. Ihr habt doch eure Regensachen dabei, oder?« Die meisten von ihnen nickten und ergaben sich in ihr Schicksal. Zwar konnte ich vereinzelt einige tuscheln hören, was für eine blöde Idee das war, aber da mussten sie durch. Immerhin handelte es sich hier um einen Englisch-Leistungskurs, da konnte man ihnen so etwas zumuten. Während wir warteten, strömten Unmengen von Zuschauern in den runden Publikumsbereich und zunehmend wurde es enger um uns. Gerade als ich glaubte, es könnte nicht mehr voller werden, schlossen sich die Tore und das Theaterstück begann. Zeitgleich mit dem Beginn fand auch eine Verwandlung meiner Schüler statt : Hatten sie vorher noch über den ollen Shakespeare gemeckert, so waren sie nach kurzer Zeit völlig in den Bann des Stückes gezogen worden. Sie johlten wie der Rest des Publikums über die spitzzüngigen Wortgefechte zwischen Beatrice und Benedick und buhten lauthals, wenn der böse Don Juan seine Intrigen spann. Als das Stück geendet hatte und die Zuschauer die Schauspieler mit frenetischem Applaus feierten, waren meine Schüler diejenigen, die am lautesten klatschten, wie ich mit Genugtuung feststellte. Einstimmig erklärten sie mir, dass das Stück einsame Klasse gewesen sei und sie ihre Meinung über den alten Will noch einmal ändern würden. Ich nahm mir vor, sie bei der nächsten Lektüre an diese Aussage zu erinnern.
    »Freut mich, dass es euch gefallen hat. Manchmal muss man die Dinge einfach erlebt haben, um sie gut zu finden. So und jetzt habe ich eine freudige Nachricht für euch: Ihr habt den Rest des Tages zur freien Verfügung.« Diese Überraschung ließ alle noch mehr jubeln . Kurz darauf waren alle verschwunden und nur Phil und ich standen im Ausstellungsraum des Theaters.
    »Und wie hat es dir gefallen?«, fragte ich ihn, während wir das Globe verließen.
    »Sehr gut, zwar war es nicht mein erstes Mal bei einer solchen Aufführung, aber ich muss zugeben, dass mir das Stück besser gefallen hat als das andere.«
    »Was hast du dir angesehen?« Ich war etwas neidisch darauf, dass er schon einmal das Glück gehabt hatte, eines dieser begehrten Tickets zu ergattern. Wie ich ihn kannte, hatte er wahrscheinlich damals auch einen Sitzplatz gehabt.
    »Romeo und Julia.«
    »Ah, die angeblich schönste und größte Liebesgeschichte aller Zeiten.« Mir selbst war das Ende des Stücks zu traurig, aber es gab genug Menschen, die das anders sahen als ich.
    »Die schönste Liebesgeschichte? Liebe bis in den Tod? Nein danke, das ist nichts für mich. Dann doch lieber ein Happy End, wie hier. Alle sind glücklich und die Bösewichte sind bestraft.« Es überraschte mich immer wieder, wie ähnlich wir uns eigentlich waren. »Schade, dass es im wahren Leben nicht so sein kann«, fügte er betrübt hinzu.
    »Mit welchen Schurken hast du denn zu kämpfen? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass dir jemand übel mitspielen will.«
    »Hallo? Ich gehe jeden Tag in die Schule und kämpfe gegen die übelste Sorte überhaupt an: pubertierende Schüler. Schlimmer geht es wohl kaum, oder? Und die Presse ist auch nicht zu verachten.« Er lachte kurz auf, jedoch erreichte das Lachen seine Augen nicht und ich fragte mich, was er vor mir verheimlichte. Er hatte mir eine billige Lüge aufgetischt, das hatte ich sofort gespürt. Es musste jemanden in seinem Leben geben, der ihm nicht nur wohlgesinnt

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