Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
hatte ich schon einiges gehört und mich deshalb auf das Schlimmste eingestellt. Umso erfreulicher war es für mich, dass sie die erste Nacht noch nicht zur Partynacht auserkoren hatten. Vielleicht würde es noch kommen, aber diese Nacht hatten wir unbeschadet überstanden und beim Frühstück wurde ich von einer äußerst munteren Truppe empfangen, die es fast nicht erwarten konnte, loszuziehen.
Gestärkt und bereit für den Tag machten wir uns auf zum Tagesprogramm, das einen Besuch diverser Museen und des Towers vorsah. Geduldig ließen sich die Schüler von Phil und mir durch die Stadt führen, lauschten mehr oder weniger aufmerksam unseren Ausführungen und freuten sich über jede Pause, die wir ihnen gönnten. Wir hatten beschlossen, dass die Schüler das Museum of London auf eigene Faust erkunden sollten. Allerdings unter der Bedingung, dass sie uns am Ende der vereinbarten Zeit einen Bericht über die Ausstellungen geben konnten, die sie sich angesehen hatten. Ansonsten wären sie vermutlich in dem Moment, in dem wir sie entließen, in den nächsten Starbucks verschwunden, immerhin war ich auch einmal Schülerin gewesen und wusste, wie es in meiner Jugend gewesen war. Der Besuch des Museums war mein erster seit der großen Renovierung und mit Feuereifer stürzte ich mich auf die neuen Ausstellungen. Und doch zog mich, wie bei meinen bisherigen Besuchen, das Stadtmodell, das London vor dem Brand 1666 zeigte, am stärksten in seinen Bann. Ich blieb vor dem Miniaturmodell stehen und sog es förmlich mit den Augen auf. Für einen Augenblick hatte ich den Eindruck, das Klappern der Hufe, die Rufe der Händler und der Menschen auf der Straße zu hören. Ich fühlte mich, als stünde ich inmitten dieses Modells.
»Es war schon damals eine beeindruckende Stadt, findest du nicht?«, hörte ich plötzlich Phils Stimme neben mir. Unsere Wege hatten sich beim Betreten des Museums getrennt, da er sich eine andere Ausstellung hatte ansehen wollen, sein Weg musste ihn in diese Ausstellung gebracht haben. Völlig aus meinen Gedanken gerissen, blickte ich verwirrt auf und musste einige Male blinzeln, bevor ich mich wieder daran erinnern konnte, wo ich war. Das Modell hatte mich komplett in Beschlag genommen und ich war in eine Fantasiewelt eingetaucht.
»Manchmal bin ich etwas traurig, dass viele Gebäude nicht bis heute überlebt haben, wie Whitehall oder die London Bridge.« Mit dem Finger zeigte ich auf eine Reihe von Gebäuden, die liebevoll als Miniatur nachgebaut worden waren und seit Jahrhunderten nicht mehr existierten.
»Wünschst du dir nicht auch ab und an, dass du dir das alles ansehen könntest? Ich meine, so wie es einmal war?« Was für eine merkwürdige Frage, sie erinnerte mich an meinen Scherz vom Vortag.
»Du meinst eine Zeitreise? Auch wenn ich dich gestern gefragt habe, ob du nicht zufällig eine Zeitmaschine dabei hast, wissen wir beide, dass es nicht möglich ist. Es ist ein Traum und wie die meisten Träume wird er nicht wahr.« Ich lachte künstlich auf, um das unangenehme Gefühl, das sich in meiner Magengegend ausbreitete , zu vertreiben.
»Natürlich weiß ich das, aber wenn du die Möglichkeit hättest, wohin würdest du reisen?« Ich wandte meinen Blick von dem Modell vor mir ab und sah zu ihm hin. Sein Gesicht hatte einen merkwürdigen Ausdruck angenommen, ganz so, als zöge er es tatsächlich in Betracht, dass Zeitreisen realisierbar seien. Fing er jetzt auch an zu spinnen? Ich hatte Amnesie und er fantasierte über Zeitreisen? Wir waren ein wahres Traumpaar.
»Ich möchte überallhin, ich könnte mich nicht auf eine Zeit festlegen, dafür ist viel zu viel geschehen, als dass ich mich einschränken wollte. Aber ich glaube, es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, wir werden es niemals umsetzen können«, beendete ich die seltsame Unterhaltung, die mir Gänsehaut und Magenschmerzen bereitete. Mit einem Blick auf meine Uhr stellte ich fest, dass wir uns beeilen mussten, unsere Schüler warteten sicherlich schon unruhig. Phil lächelte nur und sagte nichts mehr zu dem Thema.
Zum Abendessen gingen wir mit den Schülern in ein Pub, das Phil ausgesucht hatte. Seine Wahl überraschte und erfreute mich. Gehörte doch das ›George Inn‹ zu den ältesten Gasthäusern der Stadt, das auf eine lange ereignisreiche Geschichte zurückblicken konnte.
»Selbst Shakespeare und Dickens sind hier früher ein und aus gegangen«, ließ er die Schüler wissen, als wir den Hof des
Weitere Kostenlose Bücher