Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
hat so eine Art Erinnerungsradierer entwickelt, der die Erinnerung von Menschen löscht, die zu viel mitbekommen haben. Und da du dich an nichts mehr erinnern kannst, was ab dem Moment unserer ersten Zeitreise geschehen ist, liegt die Vermutung nahe, dass du dem Radierer ausgesetzt wurdest. Bisher wurde er immer nur eingesetzt, um die letzten Minuten oder Stunden zu löschen, aber bei dir wurden auf einen Schlag mehrere Monate gelöscht.«
»Zehn Wochen«, korrigierte ich ihn, was nicht hieß, dass ich diesen Schwachsinn, den er versuchte mir aufzutischen , glaubte.
»Nein, mehrere Monate. Dir fehlt nicht nur die Zeit in der Gegenwart, sondern auch die Monate, die wir in der Vergangenheit verbracht haben«, widersprach er mir. Monate? Es wurde immer verrückter und langsam kam ich zu der Überzeugung, dass nicht ich professionelle Hilfe brauchte, sondern Phil.
»Das ist kompletter Blödsinn! Wahrscheinlich hast du hier irgendwo eine Kamera positioniert und gleich springt jemand aus der Ecke und ruft: ›Versteckte Kamera‹ oder Ähnliches. Ich will jetzt die Wahrheit wissen.« Ich hatte die Schnauze gestrichen voll und er sollte sich überlegen, ob es nicht besser wäre, mir die richtige Geschichte zu erzählen.
»Blödsinn? Nein, das ist die Wahrheit. Oder wie kannst du es dir sonst erklären, dass du die Tanzschritte kannst? Du wurdest von mir zur perfekten Zeitreisenden ausgebildet. Du kannst tanzen, ein paar Instrumente spielen, nur Singen ist nicht so dein Ding. Du betrügst beim Karten spielen bald so gut wie ich, und wenn ich jetzt mit dir Mittelhochdeutsch sprechen würde, könntest du mich nicht nur verstehen, sondern auch antworten. Es ist alles da oben in deinem Kopf, und nicht gelöscht, wie wir immer geglaubt haben, nur ganz tief vergraben. Und irgendwann wirst du dich an alles erinnern!« Seine bisherige Ruhe war wie weggeblasen und er war genauso aufgebracht wie ich. Hm, in einigen Punkten musste ich ihm zustimmen. Ich konnte seltsame, altertümliche Tänze und dann war da noch die Sache mit den merkwürdigen Büchern in meiner Wohnung. Bücher, von denen er behauptet hatte, nicht zu wissen, was es mit ihnen auf sich hatte. Aber so gerne ich dies als Erklärung für alles glauben wollte, wusste ich, dass ich in diesem Fall gleich beginnen konnte, wieder an den Weihnachtsmann und den Osterhasen zu glauben.
»Beweise es mir, bring mich in die Vergangenheit!«, forderte ich ihn auf. Jetzt würde er zugeben müssen, dass er mich angelogen hatte.
»Wenn es so einfach wäre! Wir haben keine passende Kleidung und dann weiß ich nicht, was eine Zeitreise bei dir auslösen würde. Du scheinst nicht ganz du selbst zu sein. Willst du das Risiko wirklich eingehen?« Ha, ich hatte doch gewusst, dass er es mir nicht zeigen konnte. Es war alles nur eine große, fette Lüge, von der ich nicht verstand, warum er mir das antat.
»Was habe ich dir getan? Warum quälst du mich so? Ich dachte, du hast Gefühle für mich, aber du hast dir die ganze Zeit nur einen Spaß mit mir erlaubt! Mich eingelullt, bis ich dir vertraue , und dann verarschst du mich dermaßen? War der Sex wenigstens gut oder war es ein leidiges Übel für dich?« Ich drehte mich erneut um und wollte das Zimmer verlassen, doch Phil rief mich zurück.
»Warte!« Genervt drehte ich mich zu ihm um, verschränkte meine Arme vor der Brust und sah ihn finster an:
»Ich wüsste nicht, was wir beide noch zu besprechen haben!» Sobald ich diesen Raum verlassen hatte, würden er und ich Geschichte sein. Es gab nichts, aber auch gar nichts mehr, was mich davon überzeugen konnte, bei ihm zu bleiben.
»Ich habe mir keinen Spaß mit dir erlaubt, meine Gefühle für dich sind echt. Ich wäre froh, wenn du das endlich verstehen würdest. Ich will nicht, dass du auf Zeitreise gehst. Ich habe Angst, dass dir etwas zustößt. Was aber nicht bedeutet, dass ich nicht durch die Zeit reisen kann. Gib mir ein wenig Zeit und dann werde ich dir beweisen, dass ich es ernst meine!«
»Wozu brauchst du Zeit?« Er glaubte doch nicht etwa, dass ich seine Geschichte für bare Münze nahm, aber ich war gespannt, was er sich noch so alles ausdenken würde, um mich zu überzeugen.
»Ich brauche Kleidung und etwas Gold, um dir etwas mitzubringen, damit du mir glaubst.« Er hielt seine eigene Wahnvorstellung für real. Ich wusste doch, dass es einen Haken bei ihm geben musste. Kein Mann konnte so aussehen wie er, noch dazu unverschämt reich sein und keinen Sprung in der
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