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Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Zwischenstation Gegenwart (German Edition)

Titel: Zwischenstation Gegenwart (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Neumann
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dahinterstecken.
     
    Der Tanz dauerte nicht lange und die Tänzer entließen ihre Opfer. Wir kehrten zu unseren Schülern zurück, die uns mit großen Augen ansahen. Sie hatten mit einer ganzen Menge gerechnet, aber nicht mit unserer Performance – und ich, zugegebenermaßen, ebenso wenig. Es wurmte mich, dass ich keinerlei Möglichkeit bekam, Phil beiseite zu ziehen und ihn zur Rede zu stellen. Ein weiterer Tanz, angekündigt als Gaillarde mit anschließender Volta, wurde von den Tänzern aufgeführt. Wie hypnotisiert stand ich am Rand und schaute auf die Tänzer, wie sie ihre Partnerinnen hochhoben und mit einer drehenden Bewegung wieder am Boden absetzten. In diesem Moment tauchte ein neues Bild vor meinen Augen auf. Ich sah, wie ich von demselben Mann hochgehoben wurde, den Phil in meiner anderen Erinnerung angegriffen hatte. Während mein Tanzpartner die Hebefigur ausübte, fiel mein Blick auf Phil, wie er am Rand stand und mich finster, fast wütend anfunkelte. Und schon war die Erinnerung wieder verschwunden und ich war noch verwirrter als zuvor. Mit einem Mal wurde mir klar, was nicht stimmte: Dies konnte nicht alles auf der Halloweenparty geschehen sein. In jeder dieser Visionen hatten die Beteiligten etwas anderes an. Es waren alles Kleider aus der Tudorzeit, aber immer in unterschiedlichen Farben und Mustern. Es ging kein Weg daran vorbei, Phil hatte mir einiges zu erklären. Dieses Mal sollte er nicht ohne Weiteres davonkommen, dafür würde ich sorgen, und wenn ich ihn notfalls niederschlagen musste, um ihn mit Gewalt irgendwo zu fesseln. Ich würde meine Antworten bekommen, das Spiel hatte lang genug gedauert und meine Geduld war am Ende.
     
    Sowie die Vorführungen beendet waren, passte ich einen günstigen Moment ab und zog Phil unbemerkt zur Seite.
    »Wir müssen reden, und zwar dringend! Ungestört!«, zischte ich ihm aufgeregt zu.
    »Schick den Kurs zum Bogenschießen, einverstanden? Danach können wir reden.« Er schien sich nicht darüber zu wundern, dass ich das Gespräch mit ihm suchte, ganz im Gegenteil: Er wirkte, als hätte er nur darauf gewartet. Ich nickte, ging zu meinen Schülern und schickte sie, wie Phil geraten hatte, zu den Sportveranstaltungen, die wir eigentlich auch hätten besuchen sollen. Doch die Antworten auf meine Fragen waren weitaus wichtiger.
    »Also?«, forderte ich Phil ungeduldig auf, nachdem wir alleine waren.
    »Nicht hier.« Er nahm mich an der Hand und führte mich durch die langen Gänge des Schlosses, bis er unvermittelt stehen blieb, an der Wand entlangtastete und einige schnelle Bewegungen ausführte. Zu meiner Überraschung öffnete sich eine in der Holzvertäfelung versteckte Tür und gab den Blick in einen kleinen Raum frei. In einer ruckartigen Bewegung zog er mich in den Raum und schloss die Tür. Der Raum war komplett leer, nur durch ein kleines Fenster drang ein wenig Licht herein. Die Luft roch abgestanden und nach etwas anderem, Undefinierbarem, aber wenigstens waren wir ungestört. Woher hatte er von dieser Tür gewusst? Noch eine Frage mehr, die er mir zu beantworten hatte. Wenn das so weiterging, musste ich mir alles aufschreiben, bevor ich wieder etwas vergaß.
    »Warum kann ich Branle tanzen? Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich zwei linke Füße habe. Ich habe kein Talent dazu und trotzdem wusste ich, was ich zu tun habe, ist doch sehr komisch, oder? Was ist hier los, Phil? Sind wir Teil einer Sekte oder so etwas? Ich will wissen, was hier gespielt wird, und komm mir nicht damit, dass es noch zu früh ist. Das kannst du vergessen, entweder du sagst mir auf der Stelle die Wahrheit oder du und ich sind ab sofort geschiedene Leute!«, fuhr ich ihn wütend an. Schweigend sah er mich an, kam auf mich zu und fuhr sich seufzend mit beiden Händen durch sein kurzes, dunkelblondes Haar. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging, einem gefangenen Raubtier gleich, ein paar Schritte auf und ab, bis er schließlich vor mir zum Stehen kam.
    »Zum Teufel mit Richard, wahrscheinlich wird er mich enterben, wenn er davon Wind bekommt. Er war dagegen, dass du es erfährst. Er hatte Angst vor deiner Reaktion. Aber du hast ein Recht darauf , es endlich zu erfahren. Aber zuerst muss ich wissen, ob du mir vertraust?«, fragte er und sah mich mit bittenden Augen an. Der Ausdruck seiner Augen war so verzweifelt und aufrichtig, dass ich nicht anders konnte, als stumm zu nicken, während ich das Blut in meinen Ohren rauschen hörte. Leichte Panikgefühle überkamen

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