Zwischenstation Gegenwart (German Edition)
weil ich nicht glauben konnte, was sich gerade vor meinen Augen abgespielt hatte. Wahrscheinlich wurde ich verrückt und das war nun der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
So plötzlich, wie er verschwunden war, stand Phil wieder vor mir. Seine Kleider waren staubverschmutzt und nicht mehr makellos sauber, wie noch eine Minute zuvor. In einer Hand hielt er einen kleinen Lederbeutel.
»Hier, das habe ich dir mitgebracht. Ich hoffe, es gefällt dir!«, waren seine ersten Worte und er reichte mir den Beutel. Wie in Trance nahm ich ihn entgegen, sein Gewicht verriet mir, dass er nicht leer war. Vorsichtig öffnete ich die Verschnürung und schluckte, als ich sah, was sich im Innern verbarg. Atemlos holte ich den Inhalt hervor und betrachtete ihn mir genauer. Ein nagelneuer, zierlicher Goldreif lag in meiner Hand, verziert mit den feinsten Ziselierungen. Das war Goldschmiedekunst in höchster Perfektion. Ein derart verarbeitetes Stück hatte ich noch nie gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten, und ich war mir sicher, dass solche Schmuckstücke heute nicht mehr hergestellt wurden. Man konnte sie höchstens in Museen besichtigen.
»Aber wie ist das möglich? Du warst doch nur eine Minute weg«, stammelte ich völlig fassungslos. Phil zog den zweiten Stuhl herbei und setzte sich neben mich. Er roch nach Feuer und Schweiß, wie konnte das alles in einer Minute passiert sein? Wo war er gewesen?
»Für dich war es vielleicht eine Minute, aber ich war einige Stunden unterwegs.«
»Aber wie …? Wie es ist es überhaupt möglich?« Es gab kein Leugnen mehr, er hatte die Wahrheit gesagt, egal wie unwahrscheinlich all das war. Mir wurde leicht schwindelig bei dem Gedanken, dass er so ohne Weiteres durch die Jahrhunderte reisen konnte.
»Es ist eine etwas längere Geschichte. Mein Onkel Richard ist eigentlich nur im Nebenberuf der Chef der ›Lerfra‹. Seine Leidenschaft war von jeher die Geschichte und das Zeitreisen. Vor einigen Jahren haben sich seine Forschungen ausgezahlt und er hat die Zeitmaschine erfunden«, begann er und erzählte mir die ganze Geschichte.
Was ich zu hören bekam, war noch unglaublicher als dieses Stück Gold, das ich noch immer in meinen Händen hielt. Ich hatte uns in die Vergangenheit katapultiert, als ich versucht hatte , mit Phils Handy die Polizei zu rufen, und so war ich auf meine erste Zeitreise gegangen. Ich sollte bei der Uraufführung von ›Romeo und Julia‹ dabei gewesen sein? Und Shakespeare persönlich soll uns eingeladen haben. Aber das war noch nicht alles: Nach dieser Episode war ich zur Zeitreisenden ausgebildet worden und war zusammen mit Phil an den Hof von Elisabeth I. gereist. In schillernden Farben berichtete er mir von der Zeit und von all dem, was geschehen war, bis hin zu der Stelle, an der der ehemalige beste Freund seines Onkels mich in seine Gewalt gebracht hatte. Ohne ihn zu unterbrechen, berichtete er mir davon, wie Klaus mich hatte zwingen wollen, Phil zu töten. Was ich durch schieres Glück hatte verhindern können, nicht aber, dass Klaus entkam. Beschämt hörte ich, wie ich Phil bei dieser Aktion schwer verletzt, ihm aber dadurch das Leben gerettet hatte und er ohne bleibende Schäden davongekommen war. Ich hatte die Narben in unserer ersten Nacht entdeckt, auf meine Frage hin, woher sie stammten, war er mir ausgewichen. Sinnestrunken, wie ich war, war ich nicht näher darauf eingegangen, sondern hatte mich zu einem weiteren Liebesspiel mit ihm hinreißen lassen. Und jetzt musste ich erfahren, dass ich diejenige war, die ihm diese Wunden zugefügt hatte. Bei einem absolut irrwitzigen Abenteuer, das ich noch immer nicht begreifen konnte und meinen Kopf völlig durcheinanderbrachte.
»Seitdem versuchen wir an ihn heranzukommen, aber bisher ohne Erfolg, dafür ist er an uns herangekommen. Einen unserer Kollegen hat er übel zugerichtet und ihn mit einer Nachricht an uns in die Gegenwart geschickt«, schloss er seinen Bericht. Für einen Moment saß ich reglos da und versuchte das gerade Gehörte zu verdauen. Es hörte sich an wie etwas, das man in einem Buch lesen konnte, aber doch nicht im wahren Leben passierte.
»Was für eine Nachricht?«, hakte ich nach einer Weile nach.
»Ich solle genauso leiden wie er.«
»Und was bedeutet das?« Noch immer schwirrte mir der Kopf von seiner Geschichte, die auch meine sein sollte und sich doch so merkwürdig fremd anhörte.
»Das ist es ja, wir haben keine Ahnung, was er damit gemeint haben
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