Zwischenwelten (German Edition)
wissen.
Doch die Wärterin gibt Ayse nur schweigend ihre Sachen und geht weiter.
»Sie haben mich genau verstanden!«, ruft Ayse giftig hinter ihr her. »Sandbach ist nur ein paar Kilometer entfernt, und Sie lernen alle die Sprache, ob in der Schule oder auf der Straße oder … ach, Mist.«
Missmutig schaut sie auf den Kübel. Dann spritzt sie sich etwas Wasser ins Gesicht, streckt dem Stück Seife die Zunge raus und geht wütend in eine Zellenecke, wo sie sich hinsetzt und darauf wartet, dass etwas passiert.
Eine halbe Stunde später wird der Wasserkübel abgeholt, und noch etwas später erscheint endlich jemand mit einem Holzbrett, auf dem etwas Brot und eine Art Butter liegen und ein Schälchen mit einem Ayse unbekannten und undefinierbaren Brotaufstrich. Nachdem sie kurz daran gerochen hat, beschließt sie, ihr Brot nur mit Butter zu essen.
Tio und Micky frühstücken auf dem Hinterhof der alten Herberge. Tio betrachtet die mächtige Buche, die dort steht. Er runzelt die Stirn.
»Über was für komplizierte Sachen denkst du nach?«, will Micky wissen, als sie sein Gesicht sieht.
»Oh … du hast doch gesagt, dass in den Welten hier die Zeit eigentlich keine Rolle spielt. So was haben Ayse und ich auch schon gedacht. Die Menschen, die Einwohner, sowohl die Runji als auch die Salzländer, sind immer genau die gleichen wie in der vorigen Welt. Sie sind keinen Deut älter als auf dem letzten Level.«
»Komisch, was? Aber auch praktisch. Du weißt zumindest auf Anhieb, wen du vor dir hast, auch wenn sie dich nicht kennen.«
»Aber der Baum …«, sagt Tio und deutet auf die Buche. »Als ich das letzte Mal hier war, stand da nur ein ganz junger Baum mit einem kleinen Zaun darum.«
Micky nickt eifrig. »Genau das finde ich so eine tolle Idee von Babatunde! Diese Welt hat eine richtige Geschichte, es ist, als würde für die Kulisse die Zeit sehr wohl vergehen, nur dass er jedes Mal dieselben Spielfiguren einsetzt. Ein Haus, das einmal zerstört worden ist, bleibt zerstört und verfällt langsam. Und die Salzländer können einem die Geschichte erzählen, die damit verbunden ist, als ob sie sie von ihren Vorfahren gehört hätten. Obwohl sie das ja eigentlich selbst waren. Oder eine Art Kopie von sich selbst.«
»Aber warum macht er das so? Findet er Menschen nicht wichtig?«
»Na sicher, aber da kommst du noch dahinter. Ich hatte hier viel Spaß, bis das mit Hugo passiert ist.« Micky seufzt traurig. »Ich hoffe, dass bald alles gut wird, dann kann ich wenigstens noch ein bisschen weiterspielen. Denn ich glaube, ich hab nicht mehr viel Zeit. Ich weiß nicht, welche Altersgrenze es gibt, aber wahrscheinlich bin ich dicht davor.«
»Ich hab gar nicht gewusst, dass es eine Altersgrenze gibt.«
»Aber klar doch. Was sollen Erwachsene schon mit solchen Spielen?« Hastig nimmt Micky ein paar Bissen aus ihrer Schüssel, als wäre ihr plötzlich bewusst geworden, dass sie sich beeilen muss.
Tio fällt noch etwas ein. »O ja, das hab ich auch noch vergessen. Der Zettel, der gestern auf dem Tisch lag, hast du den geschrieben? Der mit den einzelnen Wörtern. Wir haben nämlich auch einen Zettel mitbekommen oder, na ja, gefunden, und da standen auch Wörter drauf. Aber wir haben nicht kapiert, was wir damit machen sollen.«
»Damit musst du gar nichts machen«, antwortet Micky. »Es ist nur ein Tipp, und wenn du die Wörter ergänzen kannst, dann ist es ein kleiner Hinweis darauf, was der Sinn ist.«
»Aber musst du den Vers fertig machen, das, was fehlt, ergänzen?«
»Das kannst du halten, wie du willst, wenn du denkst, dass es dir was bringt. Ich selbst finde es schön, immer wieder was dran zu machen, aber Hugo zum Beispiel war es völlig egal, und er hat sich auch nicht um meine Reime gekümmert. Du machst alles freiwillig. Es ist eine Chance, die dir geboten wird, die Chance, bei etwas Besonderem dabei zu sein, an das du noch lange denken kannst.«
»Warum kriegen gerade wir die Chance? Hat Babatunde uns aus irgendeinem Grund ausgewählt, oder guckt er sich einfach auf gut Glück irgendwelche Leute aus?«
»Keine Ahnung. Vielleicht bist du sehr gefühlvoll oder sanftmütig oder aber besonders klug und selbstständig. Es können so viele Eigenschaften sein, die einen irgendwie auszeichnen.« Micky tippt mit dem Finger gegen Tios Schüssel. »Aber wenn ich du wäre, würde ich mich mit dem Frühstück ein bisschen beeilen. Du musst nach Terrasse. Wir sprechen uns später wieder. Bring deine Freundin mit.
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