Zwischenwelten (German Edition)
in welcher Welt ihr lebt und wo die Tür zu dieser Welt ist, aber ich hoffe, dass ihr noch mal in meine Welt zurückkehrt. Genau wie die Runji, jedes Jahr. Ihr seid schließlich auch Reisende.« Sie steht auf und entfernt sich schnell einige Schritte von einer Erinnerung, die ihr ein bisschen wehtut. Doch bevor sie allzu weit weg ist, schüttelt sie den Kopf und sagt: »Auf Wiedersehen, Tio. Bis bald!«
Natürlich wird sie ihn wiedersehen, das weiß sie mit Sicherheit. Dafür muss der verrückte Buba sorgen. »Ich fand die Welten schön, auch wenn sie nicht immer schöne Welten waren.« Sie schaut sich um. »Das ist in meiner Welt genauso.« Sie schiebt ihre Hände in die Taschen, schlendert zurück und lässt den leeren Platz hinter sich.
Unruhig rutscht Ayse auf ihrem Stuhl herum. Sie hat eine tiefe Falte über den Augen. Nachdenklich schiebt sie zwei Zettel auf ihrem Schreibtisch hin und her. Sie nimmt den einen und runzelt die Stirn. Dann legt sie den ersten Zettel kurz zur Seite und nimmt den zweiten.
Wir
Ihr
Vorbei
»Wir, ihr … du und ich, das ist wichtig, denken und schenken, das reimt sich. Puh …« Sie nimmt einen Notizblock und beginnt zu schreiben, durchzustreichen und neu zu formulieren. »Immer das langweilige Wir und Ihr, da kriegt man ja echt Probleme.« Sie schreibt sich noch mehr Reimworte auf. Dann schlägt sie mit den Fingern einen kleinen Trommelwirbel auf den Tisch. »So!« Sie schreibt ihre Zeilen und schiebt den Notizblock triumphierend von sich weg.
Gibt es ein Wir,
dann gibt’s auch ein Ihr.
Guck mal daran vorbei
Und mach dich frei
vom feindlichen Denken
und lass uns EINANDER
Gemeinsamkeit schenken.
»Und jetzt das andere …« Auf den anderen Zettel hat sie Mickys Auftrag geschrieben, den Vers, der noch nicht fertig war.
Sie nimmt sich den Zettel. Das hat sich Micky ausgedacht, also kann es eigentlich nur so sein, dass sie nahezu denselben Auftrag hat. Ob Micky vielleicht aus derselben Welt kommt wie sie? Es wäre lustig, wenn sie ihr einfach so auf der Straße begegnen würde. Dann könnten sie ihre Verse austauschen.
Sie liest, was Micky geschrieben hat: Wer eine fremde Welt betritt, kriegt anderes, doch auch dasselbe mit. »Nein«, murmelt Ayse. »Das andere ist nicht wichtig, dasselbe ist entscheidend. Wie Tio gesagt hat: Diese seltsame Welt war eigentlich gar nicht so anders als unsere.« In ihrer Erinnerung geht sie noch einmal die letzten Tage in Salzland durch. Sie lächelt zufrieden, als sie daran denkt, dass sie und Tio den Salzländern einen großen Dienst erwiesen haben. Dadurch dass sie in die Zeit zurückgegangen sind, in der die Runji noch Reisende waren, konnten sie eingreifen, bevor die Dinge so böse aus dem Ruder gelaufen sind. Eigentlich sind sie und Tio richtige Helden. Schade, dass niemand in Sandelenbach das begreifen könnte, wenn es ihm erzählt würde. Die Menschen in Salzland leben immer nur auf ihrem Level und würden Geschichten über Treppen, Level und Zeit, die zurückgedreht werden kann, nicht verstehen. »Und doch haben wir wunderbarerweise ein Volk gerettet«, sagt Ayse stolz.« Sie schaut wieder auf den Zettel. »Ha!«
Wer eine FREMDE Welt betritt,
kriegt anderes, DOCH AUCH dasselbe mit.
Dasselbe ist’s, was uns verbindet
Und alle Schranken überwindet.
Wer auf die richtigen Schritte wettet,
hat vielleicht ein Volk gerettet.
»Ich bin verrückt nach fremden Welten und würde gerne noch viel mehr besuchen. Na ja, vielleicht kann ich das später, wenn ich erwachsen bin … Wie ich es einschätze, dürfte es noch genügend seltsame Länder geben, in die ich reisen kann.« Verträumt blickt sie aus dem Fenster zu den Baumkronen in der Ferne. Sie erinnert sich an die seltsamen Worte Seraphinas, als die ihr aus der Hand gelesen hat, und grinst. »Und ich komme groß raus. Hat sie nicht so was gesagt? Ich werde … Ministerpräsidentin, mindestens! Solche Leute reisen ja wie verrückt durch die Welt.« Sie reißt die beiden Verse vom Notizblock ab, faltet die zwei Zettel zweimal und klebt die kleinen Papierpäckchen mit Klebeband hinten auf das geschnitzte Bild von Kivan. »Merk dir das alles gut«, sagt sie zufrieden zu sich.
»Ministerpräsidentinnen, die einfach mal schnell ein Volk retten, sind selten.« Sie muss über sich selbst lachen. »Aber das gefällt mir. Ich möchte am liebsten noch irgendwas retten. He, Babatunde, ich hab nicht nur einen Auftrag ausgeführt, ich hab mir außerdem noch selbst einen neuen Auftrag
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