Zwölf im Netz
eine, die lesen und schreiben konnte und sich für seine Studien interessierte oder wenigstens so tat. Doch eine solche hatte er im Bekanntenkreis seiner Eltern noch nicht entdeckt. Offen gesagt, er forschte auch gar nicht ernstlich danach. An weiblichen Reizen genügte ihm einstweilen, was ihm sein Freund Philipp aus reicher Erfahrung vermittelte.
Eben bog er um die Ecke, strahlend wie nach einem geglückten Rendezvous.
»Rat mal, woher ich komme!«
»Nichts leichter zu raten als das«, entgegnete Natanael gleichmütig, »von einer neuen Freundin.«
»Irrtum!«
»Dann von einer alten Freundin.«
»Irrtum Nummer zwei.«
»Dann hat sich der Turmspringer aus Karthago, dein Rivale, endlich das Genick gebrochen. Ich kann mir nicht denken, was dich sonst noch glücklich machen sollte.«
»Da siehst du es: Du kennst mich doch nicht durch und durch, wie du immer behauptest. Hast du ein paar Nüsse zum Knacken für mich?«
Natanael holte eine Handvoll Nüsse aus seiner Kaftantasche. »Ich bilde mir nicht ein, jemanden durch und durch zu kennen. Nicht einmal mich.«
»Sehr aufschlußreich. Also, paß auf, mein großer Gelehrter! Ich habe jemanden getroffen auf den du schon die ganze Zeit wartest. Im Gegensatz zu mir; ich habe mich kaum nach ihm gesehnt wie viele andere. Darum finde ich es auch merkwürdig, daß er mir und nicht dir begegnet ist.«
»Glückspilz aus Betsaida!« Natanael lachte. »Aber ich wüßte wirklich nicht, auf wen ich verzweifelt warten sollte. Ich unterhalte mich am liebsten allein, oder mit dir.«
Philipp grinste. »Danke schön!« Dann fragte er ganz ernst: »Und wie steht's mit dem Messias?«
»Mit welchem Messias?«
»Mit welchem Messias, dumme Frage! Mit dem Messias. Für dich gibt's doch nur einen. Der Messias, auf den du noch mehr wartest als alle übrigen wahren Israeliten.«
Natanael kniff die Augen mißtrauisch zusammen. »Den hast du getroffen? Philipp, in solchen Dingen versteh ich keinen Spaß.«
Philipps Stimme wurde etwas kleinlaut. »Genauer gesagt, habe nicht ich ihn getroffen, sondern er mich — und weißt du wo? Das rätst du nie! In meiner Umkleidekabine.«
»Wo du deinen schamlosen Rock ablegst?«
»Und den schamhaften Kaftan wieder anziehe. Sehr richtig! Du, es ging ganz sonderbar zu. Ich hatte ihn vorher gar nicht gesehen. Er muß aber beobachtet haben, daß ich als Grieche in die Schafhürde hinein und als Jude wieder herausgeschlüpft war. Ich spürte plötzlich eine feste Hand auf meiner Schulter, und eine ebenso feste Stimme sprach: >Folge mir!< Du weißt ja, Nat, ich folge meistens gern, wenn mich jemand auf fordert. Diesmal handelte es sich aber nicht um eine Gönnerin, offensichtlich auch um keinen Gönner, nach dem schlichten Gewand zu urteilen, in das der Fremde gekleidet war. Aber mir gefällt's, wenn mir jemand aus einer herzlichen Aufwallung heraus auf die Schultern klopft und sagt: — Geh mit!« Darum ging ich ohne Zögern mit.«
»Mit dem Messias händchenhaltend ins neue Israel hinein — Kindskopf! Entschuldige bitte!«
»Brauchst dich gar nicht zu entschuldigen. Unter solchen Umständen bin ich gern ein Kindskopf. Stell dir vor, obwohl er doch eine Art Rabbi ist, hat er keineswegs die Brauen hochgezogen wegen meines wunderlichen Kleiderwechsels, ja nicht einmal wegen meines, wie du immer sagst, lockeren Lebenswandels.«
»Du hast ihm brühwarm alles von dir erzählt?«
»Nicht gleich. Erst haben wir übers Fischen, dann über die Zimmermannsarbeit gesprochen. Da kennt er sich nämlich bestens aus. Ich sage dir, Nat, bei diesem Menschen hatte ich das sonderbare Gefühl, der weiß sowieso schon das meiste über dich, da kannst du den Rest auch noch erzählen.«
»Und du hast ihm deine sämtlichen Liebschaften in Tiberias aufgetischt. Das hat diesen Rabbi bestimmt amüsiert.«
»Amüsiert nicht. Aber davongejagt hat er mich auch nicht, sondern gesagt: — Laß das jetzt bleiben, Philipp!««
»Und du läßt es also bleiben?«
»Klar. Ich brauche ja bloß nicht mehr nach Tiberias zu laufen. Eingeborenenweiber reizen mich nicht.«
»So einfach ist das, hm. Und was soll dich abhalten, nach Tiberias zu laufen, wenn die Mädchen dich nicht reizen?«
»Er.«
Natanael rang die Hände, wie ein Lehrer, der es aufgibt, seinen Schülern das Einmaleins beizubringen. »Liebe auf den ersten Blick, zu einem Rabbi! Ausgerechnet du.«
»Sei nicht albern, Nat! Mit Liebe auf den ersten Blick hat das gar nichts zu tun. Da kenne ich mich schließlich
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